Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Alt-Württemberg. 297 
des politischen Dilettantismus; sie meinten ihrem staatsmännischen Be— 
rufe zu genügen, wenn sie nur die Kernsätze der konstitutionellen Doktrin 
mit gesinnungstüchtiger Entrüstung beharrlich wiederholten, und suchten was 
ihnen an Macht fehlte durch prahlende Selbstüberhebung zu ersetzen. An 
die Namen: Verfassung, Volksvertretung, Volksmann heftete sich eine 
fast abgöttische Verehrung; wer zu den Kronen hielt ward als feiler 
Stellenjäger verdächtigt. Die schlechten Künste der polizeilichen Verfolgung 
steigerten dann mit der Erbitterung auch den Hochmut der Opposition 
und warben immer neue Anhänger für jene Rottecksche Lehre, welche das 
Mißgeschick der unschuldigen Völker allein aus der Bosheit der Regie- 
renden herleitete. In der schlimmen Schule der bündischen Anarchie und 
des konstitutionellen Kleinlebens wurden die Deutschen allmählich das un- 
zufriedenste und zugleich das gehorsamste aller europäischen Völker. — 
Gleich der erste Landtag dieser Friedensjahre, der württembergische, 
wirkte verwirrend und verbitternd auf die öffentliche Meinung. Denn 
hier entlud sich der lang verhaltene berechtigte Groll wider den rhein- 
bündischen Despotismus mit einer ungestümen Heftigkeit, die alle Höfe 
mit Angst erfüllte; die demokratischen Ideen des neuen Jahrhunderts ver- 
bündeten sich mit dem Trotze der altständischen Libertät; Recht und Un- 
recht lagen auf beiden Seiten unzertrennlich vermischt. Der Kampf um 
die Neubildung der Verfassungsformen erschien hier zugleich als ein Rechts- 
streit um wohlerworbene vertragsmäßige Freiheiten, die Machtfragen des 
konstitutionellen Lebens wurden nach den Regeln des Zivilprozesses be- 
urteilt, und die formalistische Staatsanschauung der am Privatrechte ge- 
schulten Juristen erlangte schon in diesem ersten Verfassungskampfe des 
neuen Deutschlands ein Ansehen, das der freien Entwicklung des deutschen 
Parlamentarismus verderblich wurde. 
Unter allen weltlichen Territorien des Reichs hatten Württemberg 
und Mecklenburg sich das altständische Staatswesen am längsten und 
treuesten bewahrt; noch um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts, in 
der Blütezeit des Absolutismus, wurde in beiden Ländern die ständische 
Verfassung durch einen Erbvergleich feierlich bestätigt. Während die Massen 
überall sonst die Vielherrschaft der Herren Stände haßten und die auf- 
strebende Fürstenmacht als den Schirmherrn der Schwachen verehrten, war 
in Württemberg das alte gute Recht dem gesamten Volke ein Heilig- 
tum. Jeder Altwürttemberger wiederholte mit Selbstgefühl den Aus- 
spruch von Fox: es gibt in Europa nur zwei Verfassungen, die den 
Namen verdienen, die englische und die württembergische. In der Ver- 
teidigung des Landesrechts ging dreihundert Jahre lang alle politische 
Willenskraft dieses Volkes auf, an ihr schulte sich jener trotzige schwäbische 
Rechtssinn, der in dem Wahlspruche „parta tueri“ seinen Ausdruck fand. 
Männer, Weiber und Kinder eilten dem alten J. J. Moser, dem Mär- 
tyrer des guten alten Rechts, festlich entgegen, als er auf die Verwendung
	        
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