310 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe.
gespielt hätte. Der König fühlte sich dem ungeheuren Hasse, der von
allen Seiten her über ihn hereinstürzte, nicht gewachsen, und da auch
sein Kronprinz ihm vorstellte, wie wenig auf eine Sinnesänderung der
Stände zu rechnen sei, so tat er klüglich einen Schritt zurück und erklärte
sich am 16. April bereit, durch seine Kommissäre mit vier ständischen
Bevollmächtigten zu verhandeln: diese sollten dann angeben, welche Be-
stimmungen des alten Landesrechts der Landtag noch in das neue Grund-
gesetz auzunehmen wünsche. Damit war die soeben erst feierlich ver-
kündigte Verbindlichkeit der neuen Verfassung beseitigt. Jetzt aber zeigte sich,
daß der Landtag nichts Geringeres erstrebte als die Wiederherstellung des
alten Zustandes mit einigen unwesentlichen Anderungen.
Die Wahlen der Städte und Oberämter waren, mit Ausnahme von
neun Kaufleuten, durchweg auf Juristen, Bürgermeister, Schultheißen und
Schreiber gefallen. Begreiflich, daß in einer solchen Versammlung die ge-
wiegten Kenner des historischen Rechts die Oberhand behaupteten: so Weis-
haar, Bolley und Georgii, tüchtige, von den Ideen des neuen Liberalismus
lebhaft ergriffene Rechtsgelehrte, denen die oligarchische alte Verfassung als
das sicherste Bollwerk der Volksrechte erschien, dann der wackere Bürger-
meister Klüpfel von Stuttgart, endlich Zahn und Feuerlein, zwei Vir-
tuosen der altwürttembergischen Schreibstube, unvergleichlich in allen
Künsten kleinlicher Wortspalterei. Im Namen der Mediatisierten führte
Graf Waldeck das große Wort, ein unruhiger Kopf, immer bei der Hand
wenn der süddeutsche Adel sich zur Wahrung seiner Standesrechte ver-
sammelte. Er brachte es über sich, in einem Atem für unbeschränkte
Volksfreiheit zu schwärmen und die Privilegien seines Hauses zu ver-
teidigen: das hochgräfliche Haus Limburg, so ließ er sich vernehmen,
habe bisher weder den Deutschen Bund, noch das Königreich Württem-
berg anerkannt und könne sich dazu nur herbeilassen, wenn ihm ein freier
Vertrag angeboten würde. Unter dem niederen Adel tat sich Freiherr
von Varnbüler hervor, ein echter Reichsritter, tapfer, freimütig, überaus
hartnäckig. Späterhin trat auch Oberst Massenbach in die Reihen der
Ritterschaft ein, derselbe, an dessen Namen der Fluch von Jena und
Prenzlau haftete; der hatte bereits durch die Herausgabe unsauberer
Denkwürdigkeiten sich gerächt für die wohlverdiente Entlassung aus dem
preußischen Heere und entfaltete jetzt in der Politik die nämliche phan-
tastische Vielgeschäftigkeit wie einst als Soldat. In wüsten, schreienden
demagogischen Schriften forderte er den Adel auf sich bürgerlich taufen
zu lassen, und verkündete: „jetzt haben alle Fürsten mit ihren Völkern
neue Verträge zu schließen; soweit muß es kommen, daß jeder Staats-
bürger seinen Beitrag zur Staatshaushaltung selbst berechnen kann."
Vorläufig hielt die aus so grundverschiedenen Elementen gemischte
Opposition noch fest zusammen; nur fünf vom Adel zogen nachträglich
ihre Zustimmung zu der Mdresse zurück, und ein Teil der Mediatisierten