Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

324 II. 6. Süddeutsche Verfassungskämpfe. 
den ehrwürdigen Stammesnamen bewahrte, und darum die Heimat eines 
zugleich politischen und sozialen Partikularismus, dessen naturwüchsige 
Kraft noch heute beweist, daß die Zertrümmerung der vier großen Stammes- 
herzogtümer eine rettende Tat unseres alten Königtums war. Der 
bayrische Stamm schenkte der Nation einst einen Wolfram von Eschen- 
bach und Aventinus, erst die Gegenreformation drückte ihn in geistige 
Dumpfheit hinab; doch war er niemals sehr reich an glänzenden Per- 
sönlichkeiten, sondern verdankte seine historische Bedeutung wesentlich der 
politischen Macht seines leidlich abgerundeten Gebietes und der kriegerischen 
Tüchtigkeit eines rüstigen Menschenschlags, der seine nahe Verwandtschaft 
mit den alten ostgermanischen Welteroberern nicht verleugnen konnte. 
Von Bayern aus beherrschten Ludwig der Deutsche und seine karolingischen 
Nachfolger das deutsche Reich; auch unter den Sachsen, den Saliern, den 
Staufern behauptete Bayern mehrmals eine bevorzugte Stellung im 
Reiche, bis endlich Kaiser Ludwig der Bayer sein Stammland zur stärksten 
aller deutschen Territorialmächte erhob. 
Aber jenes finstere Verhängnis, das überall den Versuchen deutscher 
Staatenbildung auf halbem Wege Stillstand gebot, waltete auch über 
der bayrischen Geschichte. Seit Tyrol an die Habsburger verloren ging 
(1363), trat Bayern in die Stellung einer Binnenmacht zurück. Die junge 
einst von Bayern aus besiedelte Mark Osterreich übernahm fortan den 
Vorkampf gegen die südöstlichen Nachbarvölker, welchen einst Bayern ge- 
führt, und überflügelte das Mutterland also, daß die beiden stamm- 
verwandten Lande bald in demselben Verhältnis zu einander standen wie 
Kursachsen und Brandenburg: hier die ältere, vornehmere aber zurückge- 
bliebene Macht, dort der ehrgeizige, glückliche Emporkömmling. Die Wittels- 
bachische Erbsünde des häuslichen Zwistes und wiederholte Teilungen 
schwächten die Macht des Fürstengeschlechts. Abgetrennt von den Landen der 
pfälzischen Vettern gebot Bayern nicht mehr über ausreichende wirtschaft- 
liche Kräfte, denn der Reichtum der niederbayrischen Ebene ward durch 
die Armut des Gebirgs und des steinigen Alpenvorlands aufgewogen. 
Gleichwohl gab das Haus Bayern noch einmal den deutschen Ge- 
schicken eine entscheidende Wendung. Die Wittelsbacher versagten sich zuerst 
der gemeinsamen Sache der Nation und vertrieben, den Beschlüssen des 
Reichs zuwider, die evangelische Lehre aus dem bayrischen Lande schon in 
jenen hoffnungsvollen ersten Jahren des Reformationszeitalters, da die 
friedliche Ausbreitung der neuen Lehre über das ganze Deutschland noch 
möglich war; sie verschuldeten, neben den Habsburgern, die halbe Nieder- 
lage der Reformation in Deutschland. Der Falkenturm in München, wo 
die ersten evangelischen Märtyrer schmachteten, war die Wiege der deutschen 
Gegenreformation; und noch im Jahre 1800 pries der Papst „den alten 
Ruhm" des Landes, das sich, wie kein anderes auf der Welt, von der Ketzerei 
immerdar freigehalten habe. Nachher verwendete der größte Sohn des
	        
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