C. Brentano. 27
Patriarch der deutschen Poesie. Gütig, mit teilnehmendem Verständnis
nahm der gichtbrüchige Mann mit den hellen Dichteraugen die Jungen
auf, die zu ihm wallfahrteten, und wenngleich in seinen geistvollen Worten
mancher seltsame Einfall mit unterlief, so blieb sein Blick doch auf die
Höhen der Menschheit gerichtet; immer wieder verwies er die Jugend an
„die heiligen Vier, die Meister der neuen Kunst,“ Dante, Cervantes,
Shakespeare und Goethe. Erst nach Jahren kehrte er wieder selbst zur
Dichtung zurück. Noch mehr als Tieck hatten sich die Brüder Schlegel
dem poetischen Schaffen entfremdet. Friedrich versank ganz in dem Ge-
triebe der ultramontanen Politik. August Wilhelm lebte in Bonn seinen
literarhistorischen und philologischen Studien, eine Zierde der neuen rhei-
nischen Hochschule; den Studenten blieb der kleine stutzerhafte alte Herr
doch immer ehrwürdig als der Vertreter einer reichen Epoche, auf deren
Schultern die neue Wissenschaft stand.
Nur jenen jüngeren Poeten, die sich einst in Heidelberg zusammen-
gefunden hatten, versiegte die dichterische Ader nicht. Tiefer als Clemens
Brentano war niemand in die Irrgärten des romantischen Spiel= und
Traumlebens hineingeraten. Halb Schalk halb Schwärmer, heute über-
mütig bis zur Tollheit, morgen zerknirscht und bußfertig, sich selber und
der Welt ein Rätsel, trieb sich der Ruhelose bald in den katholischen
Städten des Südens umher, bald tauchte er in Berlin auf, um den Ge-
brüdern Gerlach und den anderen christlich-germanischen Genossen der
Maikäfer-Gesellschaft seine Abhandlung über die Philister, die kecke Kriegs-
erklärung der Romantik wider die Welt der Wirklichkeit, vorzulesen. Den
Befreiungskrieg begrüßte er mit lautem Jubel, doch konnte er so wenig
wie Z. Werner sich in den norddeutsch-protestantischen Ton der Bewegung
recht finden; wie seltsam gezwungen und gemacht erschienen seine zumeist
zur Verherrlichung Osterreichs gedichteten Kriegslieder: „durch Gott und
Dich ward wahr, o Franz: was Ostreich will das kann's!“ Nachher
führte ihn sein mystischer Hang bis zum gemeinen Aberglauben herab;
er verbrachte mehrere Jahre am Krankenlager der stigmatisierten Nonne
von Dülmen und legte seine Betrachtungen über das Wunderweib in
verzückten Schriften nieder. Und doch drang das lautere Himmelslicht
der Poesie immer wieder durch die Nebel, welche diesen kranken Geist
umnachteten. Kaum hatte er in dem tollen Hexenspuk der „Gründung
Prags", einer verunglückten Nachahmung von Kleists Penthesilea, allen
seinen verschrobenen Launen die Zügel schießen lassen, so sammelte er
sich wieder, und ihm gelang wirklich was die Gelehrten der Romantik
immer nur gefordert hatten: einen volkstümlichen Stoff in volkstüm-
liche Form zu gießen. Er schuf sein Meisterstück, die Erzählung vom
braven Kasperl und vom schönen Annerl, das Vorbild der deutschen Dorf-
geschichten. Mit vollem Rechte rühmte späterhin Freiligrath ihm nach:
der wußt' es wohl, wie nied're Herzen schlagen; denn so naiv und tren