Ministerium Reizenstein-Berstett. 369
Inzwischen war am Karlsruher Hofe ein glücklicher Umschwung er—
folgt. Hacke wurde entlassen, die Freiherren von Reizenstein und Berstett
traten in das Ministerium ein: Dieser ein unbedeutender Mann, nicht
besser unterrichtet als der Durchschnitt seiner alten Kameraden von der
österreichischen Reiterei, aber pflichteifrig, pünktlich, dem fürstlichen Hause
unbedingt ergeben und trotz seiner hochkonservativen Gesinnung doch nicht
so ängstlich, daß er sich vor einem Karlsruher Landtage gefürchtet hätte;
jener dagegen ein staatsmännischer Kopf, wohl würdig eines größeren
Wirkungskreises, der vertraute Ratgeber Karl Friedrichs in dessen letzten
Jahren. Den Franzosen als deutscher Patriot verdächtig hatte Reizen-
stein bei allen Reformen jener schweren Zeit mitgewirkt. Die Wieder—
belebung der Heidelberger Universität war vornehmlich ihm zu verdanken;
selbst der Zunftstolz der Professoren ließ den geistreichen, gelehrten, durch—
aus freisinnigen Kurator als einen Ebenbürtigen gelten. Er erkannte
sogleich, daß nach dem Tode des Erbprinzen vor allem eine endgültige
Entscheidung der Erbfolgefrage geboten war, und bewog den Großherzog,
am 4. Oktober 1817 ein Hausgesetz zu veröffentlichen, das die Unteil—
barkeit des Landes festsetzte und das Thronfolgerecht der Grafen von Hoch-
berg nochmals anerkannte. Der bayrische Hof war entrüstet, der diplo-
matische Verkehr wurde stillschweigend abgebrochen. Auch Metternich, der
die Bayern noch immer mit halben Worten hinhielt, zeigte sich verletzt.
Ein so eigenmächtiger Schritt, sagte er zu Krusemark, sei nur aus dem
Schwindelgeiste, der die kleinen Fürsten jetzt beherrsche, zu erklären; das
Hausgesetz gemahne doch stark an die eine und unteilbare Republik der
Franzosen.
Der unerschrockene Minister in Karlsruhe ließ sich nicht beirren.
Auf Reizensteins Rat entschloß sich der Großherzog, den Stier bei den
Hörnern zu packen, dem Gegner, der das kleine Land seit Jahren aus
dem Dunkeln heraus bedrohte, offen entgegenzutreten. In einem Briefe
an König Max Joseph (12. März 1818) verwahrte sich der bedrängte
Fürst dawider, daß Osterreich seine Schulden „mit Provinzen, die mir
gehören“", abzutragen suche. „In so ernster Lage“, fuhr er fort, „ist es
mir unmöglich, die bayrische Regierung von ihrem Monarchen zu trennen,
in diesem noch meinen Schwager und Freund zu sehen, während jene
sich als mein blutigster Feind zeigt.“ Will Bayern Gewalt brauchen,
„dann werde ich die öffentliche Meinung zu Hilfe rufen, und Ew. Maj.
wird schwer einen mächtigeren Bundesgenossen finden.“ Sichtlich verlegen
wußte Max Joseph der scharfen Anklage nach seiner Gewohnheit wieder
nur eine furchtsame Unwahrheit entgegenzustellen: niemals, so beteuerte
er, habe die bayrische Regierung feindfelige Pläne gegen Baden gehegt; sie
begnüge sich „schweigend“ die Entscheidung der großen Mächte abzuwarten.
*) Krusemarks Bericht, 18. Oktober 1817.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. U. 24