Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

384 II. 7. Die Burschenschaft. 
Hatte Fichte nicht recht gesehen, als er einst weissagte: dies in Selbst— 
sucht verkommene alte Geschlecht müsse erst verschwinden bis auf den letzten 
Mann, ehe die Zeit der Freiheit und der Klarheit den Deutschen tagen 
könne? Und war es nicht an der Jugend, den erschlafften Alten ein 
Vorbild wahrer Deutschheit und damit aller echten menschlichen Tugend 
zu geben? Sie allein besaß ja schon „das durchaus neue Selbst“, das 
der Philosoph seinem Volke erwecken wollte, und verstand den Sinn seines 
stolzen Ausspruchs: „Charakter haben und deutsch sein ist ohne Zweifel 
gleichbedeutend.“ Nicht umsonst hatte der Redner an die deutsche Nation 
gelehrt: „die Jugend soll nicht lachen und scherzen, sie soll ernsthaft und 
erhaben sein.“ Stolz wie er selber, mit erhobenem Nacken und trotzig 
gekräuselten Lippen schritt dies kriegerische junge Geschlecht einher, durch— 
glüht von dem Bewußtsein einer großen Bestimmung, gleich dem Meister 
entschlossen, nicht sich der Welt anzupassen, sondern die anderen für sich 
zurechtzulegen. Seine Sehnsucht war die Tat, die aus freier Selbst— 
bestimmung entsprießende Tat, wie sie Fichte gepriesen, und jeder Blick 
der strafenden Augen schien zu sagen: „was kommen soll muß von uns 
kommen!“ Niemals vielleicht ist ein so warmes religiöses Gefühl, so viel 
sittlicher Ernst und vaterländische Begeisterung in der deutschen Jugend 
lebendig gewesen; aber mit diesem lauteren Idealismus verband sich von 
Haus aus eine grenzenlose Überhebung, ein unjugendlicher altkluger 
Tugendstolz, der alle Stille, alle Schönheit und Anmut aus dem deut— 
schen Leben zu verdrängen drohte. Die rauhen Sitten des jungen Ge— 
schlechts erinnerten nur zu lebhaft an den Ausspruch des Meisters: „eine 
Liebenswürdigkeitslehre ist vom Teufel.“ Wenn diese Spartaner auf Ab— 
wege gerieten, dann konnten die Verirrungen des überspannten sitt— 
lichen Selbstgefühls leicht verderblicher wirken als die holde Torheit des 
gedankenlosen jugendlichen Leichtsinns. 
Wer darf sagen, ob Fichte bei längerem Leben versucht haben würde 
diese tatendurstige Jugend in den Schranken der Bescheidenheit zu halten 
oder ob die Enttäuschungen der Friedenszeit den radikalen Idealisten 
selber verbittert hätten? Er starb schon im Januar 1814, vom Lazaret— 
fieber dahingerafft, ein Opfer des Krieges, dessen Sinn und Ziele er so 
groß und rein verstanden hatte; und nun geriet die Jugend, die immer 
nach einer Führung verlangt, unter den Einfluß anderer Lehrer, von denen 
keiner hoch genug stand um den übermut des jungen Geschlechts zu 
mäßigen. Unter den Lützowschen Jägern hatte der Turnvater Jahn wenig 
gegolten, der unbändige Polterer paßte nicht in die strenge Ordnung des 
militärischen Dienstes. Erst während der Friedensverhandlungen machte 
er wieder von sich reden, als er zum Entzücken der Gassenbuben in den 
Straßen von Paris umherzog, den Knotenstock in der Hand, beständig 
scheltend und wetternd gegen die geilen Welschen. Das lange Haar, das 
dem treuen Manne einst nach der Jenaer Schlacht in einem Tage er—
	        
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