Turnplätze und Turnfahrten. 387
Kamaschendienst des alten Heeres und besaß weder die Bildung noch die
Beweglichkeit des Geistes um die Bedeutung des neuen Wehrgesetzes zu
verstehen. Da nach dem Frieden manche unnütze Paradekünste wieder
aufkamen und die eleganten Gardeoffiziere Berlins die langhaarigen
Rüpel der Hasenhaide ersichtlich nur mit mäßigem Wohlgefallen betrach—
teten, so meinte Jahn, die Armee sei wieder in den Zustand von 1806
zurückgesunken, und polterte nach seiner alten Weise wider „die gewor—
benen Söldnerscharen, die auf dem Prahlplatze gedrillt werden“. Die
gedankenlose Jugend verfiel natürlich nicht auf die einfache Frage: wo
denn in Preußen die geworbenen Söldnerscharen sein sollten? — son—
dern ging gelehrig auf den Hohn ein und sang jubelnd:
Es hat der Held- und Kraft-Uhlan
Sich einen Schnürleib angetan,
Damit das Herz dem braven Mann
Nicht in die Hosen fallen kann.
Die Turnplätze wurden die fruchtbaren Heimatstätten jener Partei—
legenden, welche dem Volke die Geschichte seines Befreiungskrieges ver—
fälschten: nicht die Künste der Männer des Korporalstockes, sondern die Begei—
sterung der Landwehr, des Landsturmes und vornehmlich die Freischaren
hatten den Sieg errungen. Alle die Großtaten, welche Jahn mit seinen
Lützowern vorgehabt aber leider nicht zustande gebracht hatte, vollendeten
sich jetzt nachträglich in den prahlerischen Gesprächen seiner Turngenossen.
Wer diesen Kraftmenschen glaubte, mußte die Uberzeugung gewinnen,
daß beim nächsten Einfall der Franzosen die deutsche Turnerschaft nur
eine einzige ungeheuere Bauchwelle zu schlagen brauchte um den Feind zu
zermalmen. „Wir Sturmerprobten“, versicherte das Turnlied, „wir zittern
vor Söldnerschlachten nicht" — und wieder:
Sold mag hinaus senden zum Strauß
Buntes Gewürme:
Türme und Stürme
Sind wir, die Zügel und Flügel im Strauß!
Wie mit dem Heere, so wollte Jahn auch mit den Schulen nichts
gemein haben: seine Turnplätze sollten eine Welt für sich bleiben, die
Pflegestätten der Deutschheit, durchaus von seinem Geiste erfüllt. So
fromm und ehrlich er war, die unmäßige Bewunderung, die ihm von so
vielen begabteren Männern gespendet ward, brachte ihn doch aus dem Gleich-
gewichte. Mußte er sich nicht endlich selber für den Schutzheiligen der
deutschen Jugend halten, seit Schenkendorf über das schöne Lied: „Wenn
Alle untreu werden, so bleiben wir doch treu“ die Aufschrift gesetzt hatte:
„Erneuter Schwur an den Jahn!“ Da stand es ja klärlich zu lesen,
daß wenn alle falschen Götzen trauen, der Jahn allein und seine Ge-
treuen noch „predigen und sprechen vom heiligen deutschen Reich". Zwei
Universitäten, Jena und Kiel, sendeten ihm fast gleichzeitig ihr Doktor-
diplom und feierten mit dem ganzen Pompe akademischer Amtsberedsamkeit
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