Die Ernestiner. 397
So ward Thüringen neben Schwaben das gelobte Land des deut—
schen Kleinlebens. Als der moderne Staatsgedanke endlich auch in diesen
Hausherrschaften erwachte, als Ernst August von Weimar die Primo—
genitur-Ordnung einführte und die ernestinischen Vettern allmählich, Mei-
ningen erst im Jahre 1801, dem guten Beispiele folgten, da war die
Zertrümmerung schon vollendet, und die Kleinstaaterei zeigte sich hier
lebenskräftiger als im Südwesten, weil sie ausschließlich in den Formen
weltlicher Fürstenherrschaft erschien. Zur Zeit des Friedensschlusses ver-
teilten sich die 700,000 Menschen, welche das kleinfürstliche Thüringen —
mit Ausschluß der preußischen und hessischen Gebiete — bewohnten, unter
fünf sächsische Häuser, zwei Schwarzburg und drei Linien Reuß, von
denen die Bundesakte leider nur zwei anerkannte. Und diese neun oder
zehn Staaten standen einander als souveräne Mächte, völlig selbständig
gegenüber; an gemeinsamen Institutionen besaßen sie nichts als die Uni-
versität, die von den fünf sächsischen durchlauchtigsten Nutritoren unter-
halten wurde, und das neue Jenenser Oberappellationsgericht. Dem Volke
kam wohl zuweilen eine Ahnung von der Jämmerlichkeit dieser Zustände.
In der Gegend von Roth, zwei Stunden von Hildburghausen, sang man
das Lied:
Hildburghäuser Gebot
Langt bis Roth;
Da hat's a Krümm
Und kehrt wieder üm.
Im Grunde fühlte man sich doch glücklich in dieser traulichen Enge,
wo Fürstengnade und Vetterngunst jedem halbwegs brauchbaren Menschen
den Lebensweg so behaglich ebneten; die häusliche Tugend der wackeren
Ernestinischen Betefürsten stand dem Volke näher als die dämonische Ge-
stalt jenes Bernhard von Weimar, der einmal doch mit dem Schmettern
seines Schwertes die eintönige Idylle dieser Landesgeschichte unterbrach.
Niemals, auch nicht in der Fieberhitze des Jahres 1848, haben die Thü-
ringer ernstlich an die Mediatisierung ihrer kleinen Herren gedacht.
Wie überall in Mitteldeutschland drängte sich auch hier eine bunte
Mannigfaltigkeit volkstümlicher Sitten und Bräuche auf engem Raume
zusammen. Der einsame Rennsteg auf dem Kamme des Thüringer
Waldes, vor Zeiten der Grenzweg zwischen Thüringen und Franken,
bildete noch immer eine scharfe Stammesscheide: südwärts der stark
fränkisch gefärbte hennebergische Dialekt und das rein süddeutsche Volk
im Coburgischen, nördlich das eigentliche Thüringen zwischen Saale und
Werra, und von diesem wieder verschieden das mit slavischen Elementen
gemischte Volkstum östlich der Saale. Auch in den neuen, so spät
und zufällig entstandenen dynastischen Gebieten bildete sich bald ein
zäher Partikularismus aus, harmlos und philisterhaft, doch immerhin
stark genug um jede Anderung zu erschweren. Alle guten Meininger