Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Jenenser Burschenschaft. 423 
und meinten kurzab: aus der Knechtschaft Nacht durch blutigen Kampf 
zum goldenen Tage der Freiheit. So ist aus den Träumen der Stu— 
denten jene Trikolore entstanden, die durch ein halbes Jahrhundert die 
Fahne der nationalen Sehnsucht blieb, die so viel Hoffnungen und so 
viel Tränen, so viel edle Gedanken und so viel Sünden über Deutsch— 
land bringen sollte, bis sie endlich, gleich dem schwarzblauroten Banner 
der italienischen Carbonari, im Toben der Parteikämpfe entwürdigt und 
gleich jenem durch die Farben des nationalen Staates verdrängt wurde. 
Die Absicht der Burschenschaft, alle Studenten in einer Verbindung 
zu vereinigen, entsprang einem überspannten Idealismus, da der schönste 
Reiz solcher Jugendvereine doch in der Innigkeit der persönlichen Freund— 
schaft liegt. Der unzähmbare persönliche Stolz der Deutschen wollte sich 
so leicht nicht über einen Kamm scheren lassen. Aristokratischen Naturen 
war schon das allgemeine Duzen, das die Burschenschaft anbefahl, wider— 
wärtig; nicht bloß die rohen Wüstlinge der alten Schule, sondern auch 
viele harmlos lebenslustige junge Männer langweilten sich bei dem alt— 
klugen, ernsthaften Tone des Burschenhauses, wo man nur durch pathe- 
tische Beredsamkeit, und allenfalls noch durch eine gute Klinge, sich An- 
sehen erwerben konnte; freie, eigenartige Köpfe, wie der junge Karl 
Immermann in Halle, wollten das Ansehen der Burschenvorsteher über- 
haupt nicht gelten lassen, da die berühmten akademischen Häuptlinge nur 
selten geistreiche Menschen sind. Wider solche Gegner half nur diktato- 
rische Härte; die Einseitigkeit, deren jede neue Richtung, zumal unter 
jungen Männern, bedarf, steigerte sich in der Burschenschaft bald bis. 
zum Terrorismus. In Jena gelang es, alle abweichenden Meinungen 
vorläufig zum Schweigen zu bringen, und nun schwoll das Selbstgefühl 
der Burschen unleidlich an. Gewichtig schritten an jedem Nachmittag die 
Herren des Vorstandes und des Ausschusses auf dem Marktplatze auf und 
nieder, das Wohl des Vaterlandes und der Hochschulen in gemessenem 
Gespräche erwägend; sie fühlten sich als Herrscher in diesem kleinen aka- 
demischen Reiche, zumal da die meisten Professoren den jungen Herren 
eine ganz unbillige, aus Angst und Wohlwollen gemischte Ehrerbietung 
erwiesen; sie sahen im Geiste schon die Zeit, wo ganz Deutschland von 
den Jüngern der Burschenschaft regiert würde. 
Die patriotischen Zorn= und Prachtreden erklangen immer kräftiger 
und schlossen schon zuweilen mit dem Trumpfe: „unser Urteil hat das 
Gewicht der Geschichte selbst, es ist vernichtend.“ Wie viele alte Burschen- 
schafter sind bis zur Grube in dem glücklichen Wahne geblieben, daß die 
Burschenschaft eigentlich das neue deutsche Reich gegründet habe; Arnold 
Ruge schilderte noch ein halbes Jahrhundert später den langen Einheits- 
und Freiheitskampf der neuen deutschen Geschichte wie eine einzige große 
Pro-patria-Paukerei zwischen Burschenschaften und Korps. Und sicher- 
lich hat mancher redliche junge Mann die erste Ahnung von der Herr-
	        
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