Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

428 II. 7. Die Burschenschaft. 
der Zeit empörte, und hier das ungefährliche Feuergericht großsprecherischer 
junger Burschen über eine Reihe von Schriften, woraus sie kaum eine 
Zeile kannten — welch ein lächerlicher Kontrast! Auf der Burschenver— 
sammlung am nächsten Tage sprachen die Studenten wieder ruhiger, 
verständiger mindestens als ihr Lehrer Fries, der ihnen eine unglaublich ge— 
schmacklose, von mystischer Bibelweisheit und sachsen-weimarischem Frei- 
heitsdünkel strotzende Rede schriftlich zurückgelassen hatte: „Kehret wieder zu 
den Eurigen und saget: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreiheit, deut- 
scher Gedankenfreiheit Hier lasten keine stehenden Truppen! Ein 
kleines Land zeigt Euch die Ziele! Aber alle deutschen Fürsten haben dasselbe 
Wort gegeben“ usw. Wahrlich, Stein wußte wohl, warum er die 
Jenenser Professoren als faselnde Metapolitiker verdammte, und Goethe 
nicht minder, warum er seinen Fluch aussprach über alles deutsche poli- 
tische Gerede; denn was ließ sich von der Jugend erwarten, wenn ihr 
gefeierter Lehrer die vierundzwanzig weimarischen Husaren dem übrigen 
Deutschland als ruhmreiches Vorbild darstellte! Dieselbe widerliche Ver- 
mischung von Religion und Politik, die schon aus Fries' Rede sprach, 
offenbarte sich dann noch einmal am Nachmittage, als einige der Bur- 
schen auf den Einfall kamen noch das Abendmahl zu nehmen. Der Super- 
intendent Nebe gab sich in der Tat dazu her, den aufgeregten und zum 
Teil angetrunkenen jungen Männern das Sakrament zu spenden — 
ein charakteristisches Probstück jener jämmerlichen Schlaffheit, welche die 
weltlichen wie die geistlichen Behörden der Kleinstaaterei in unruhigen 
Tagen immer ausgezeichnet hat. 
Trotz allen Torheiten einzelner war die Feier im ganzen harmlos, 
glücklich, unschuldig. Als man am Abend unter strömenden Tränen 
sich trennte, blieb den meisten eine Erinnerung für das ganze Leben, 
strahlend wie ein Maientag der Jugend — so gesteht Heinrich Leo; sie 
hatten sich brüderlich zusammengefunden mit den Genossen aus Süd 
und Nord, sie meinten die Einheit des zerrissenen Vaterlandes schon mit 
Händen zu greifen, und wenn die öffentliche Meinung verständig genug 
war die jungen Feuerköpfe sich selber und ihren Träumen zu überlassen, 
so konnten die guten Vorsätze, welche mancher wackere Jüngling in jenen 
erregten Stunden gefaßt hatte, noch heilsame Früchte bringen. 
Aber in der tiefen Stille, die über dem deutschen Norden lagerte, 
hallten die kecken Reden der Burschen nur allzu laut wieder; es war als 
ob Freund und Feind sich verschworen hätten, die Todsünde der Jugend, 
die ihr den ehrlichen Enthusiasmus verdarb, die krankhafte Selbstüber- 
schätzung, bis zum Unsinn zu steigern, als ob jedermann mit einstimmte in 
die ruhmredige Versicherung eines der Wartburg-Redner, Carové, der die 
Universitäten als die natürlichen Verteidiger der Volksehre gefeiert hatte. 
Mit lächerlicher Ernsthaftigkeit priesen die liberalen Zeitungen dies erste 
Erwachen des öffentlichen Lebens der Nation, „diesen Silberblick unserer
	        
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