Die Unbedingten. 441
Gebaren der Gießener und verwarfen auch Follens Reichsverfassungs—
plan; freilich nur gegen eine starke Minderheit. Nach und nach fanden
die revolutionären Lehren der Schwarzen doch Eingang an der Saale,
namentlich durch die Vermittlung Robert Wesselhöfts, eines derben, kräf—
tigen Thüringers von diktatorischem Wesen. Es bildete sich im Schoße
der Altdeutschen, der Masse der Burschen völlig verborgen, ein Geheim—
bund von Unbedingten, der auf den unschuldigen großen Haufen der
Burschenschaft verächtlich herabsah und durch vertraute Boten mit den
Gesinnungsgenossen auf anderen Hochschulen insgeheim verkehrte. Zu
ihm gehörte Jens Uwe Lornsen, ein unbändiger, nordischer Berserker von
den friesischen Inseln, späterhin berühmt als Vorkämpfer für die Rechte
Schleswig-Holsteins, desgleichen der mädchenhaft schöne kleine Heinrich
Leo aus dem Schwarzburgischen, ein geborener Romantiker, der droben
auf dem Walde eine glühende Schwärmerei für das urwüchsige Leben der
ältesten Germanen, einen tiefen Haß gegen die Formenstrenge der klassi-
schen Kultur eingesogen hatte und nur durch die unzähmbare Wildheit
seines heißen Blutes auf kurze Zeit in eine moderne, seinem innersten
Wesen fremde radikale Richtung hineingetrieben wurde.
Der Ton unter diesen Schwarzen war unbeschreiblich frech; die Jugend,
das stand fest, hatte den geknechteten Völkern Anstoß und Richtung zu
geben. Ein witziger Kopf in Bayern veröffentlichte soeben, unter der Maske
eines begeisterten Schülers von Fries, einen offenen Brief, worin er das
ganze Menschengeschlecht in Burschen, Burschinnen, Lehr-, Vor= und Nach-
burschen einteilte. Die Satire war so treffend, daß viele der Burschen
selber, und noch heute manche Historiker, den Brief für echt hielten. Die
Schwarzen begnügten sich schon längst nicht mehr mit solchen Außerungen
albernen Ubermuts, wie Lornsen, der in Gegenwart des jungen Herzogs
von Meiningen ein Pereat auf die Dreißig oder Dreiunddreißig aus-
brachte. Sie besprachen alltäglich und mit unheimlicher Gelassenheit die
Frage, wer zunächst um der Freiheit willen „kalt gemacht“ werden solle;
da Metternich so schwer zu erreichen und keiner der deutschen Fürsten
ungewöhnlich verhaßt war, so kam das wüste Gerede immer wieder auf
Kotzebue als das nächste Opfer zurück. Als im Herbst 1818 Zar
Alexander auf der Durchreise in Jena erwartet wurde, beriefen die Führer
der Unbedingten eine tief geheime Sitzung und fragten kurzweg, ob jetzt
der Mordstreich gegen den Despoten gewagt werden sollte; wer bei der
Antwort sich irgendwie unsicher zeigte ward fortan von den Beratungen
der Eingeweihten stillschweigend ausgeschlossen. Der Zar war inzwischen
schon weiter gereist, und man behauptete nachträglich, daß die Führer der
Schwarzen dies gewußt hätten. Dies mochte vielleicht wahr sein; aber
wohin war es mit unserer Jugend gekommen, wenn sie den feigen, der
deutschen Geradheit ekelhaften Meuchelmord bereits als den Prüfstein zu-
verlässiger Gesinnungstüchtigkeit betrachtete?