442 II. 7. Die Burschenschaft.
Die Aufregung der jungen Leute ward durch die Angstrufe der amt—
lichen Zeitungen und leider auch durch manche unvorsichtige Außerung
der Lehrer gesteigert. Luden pflegte in seinen Vorlesungen, wie schon früher
in seiner „Staatsweisheit“, den unbestreitbaren Satz auszuführen, daß
Macht und Freiheit des Staates selber unschätzbare sittliche Güter sind
und ihnen mithin unter Umständen andere sittliche Güter geopfert werden
müssen; doch seine geistige Kraft reichte nicht aus um der Jugend den
tiefen Ernst dieser leicht zu mißbrauchenden Lehre zu verdeutlichen, und
mehrere seiner aufgeregten Hörer gewannen, wie Karl Sand, nur den Ein—
druck, daß der Zweck das Mittel heilige. Auch Fries stand ratlos vor
dem erwachenden Demagogentum und verfehlte oft den Ton: wenn er die
Studenten gewissenhaft vor Geheimbünden warnte, so meinte er die bittere
Pille durch radikale Kraftreden versüßen zu müssen und polterte so gröb—
lich wider die Polizeigewalt, welche „die Eichen und Fichten der deutschen
Wälder an ihre Hopfenstangen binde“, daß seine Worte mehr aufreizend
als beruhigend wirkten. In einem Glaubensbekenntnis für die jungen
Leute sagte er: „Ich halte heilig die Forderung eines neuen deutschen Rechts
und einer kräftigen republikanischen Reichsordnung für Deutschlands Einheit.
Ich hasse das Regiertwerden durch hochwohlgeborene französische Affen und
das Belehrtwerden durch wohlgeborene lateinische Affen. Ich hasse die Unter-
drückung des Volks durch stehende Heere, durch die Kosten anmaßlicher dumm-
stolzer Müßiggänger als Offiziere. Das Volk ist das Heer und der Herr.“
Selbst Arndts freie Seele blieb von der Verbitterung der Zeit nicht un-
berührt. Der vierte Band seines „Geistes der Zeit“, der im Jahre 1818 er-
schien, stand den früheren Bänden weit nach; das schöne Pathos der Be-
freiungskriege genügte jetzt nicht mehr. Mußte sich die Jugend nicht in ihrem
Dünkel bestärkt fühlen, wenn ihr Arndt den siebenjährigen Krieg als ein leeres
Märchen, die Werke unserer klassischen Dichtung als klein und seelenlos, als
die Kinder einer gestaltlosen, liebeleeren und ruhmleeren Zeit schilderte? Er
meinte unschuldig, geheime Verschwörungen seien nur dann erlaubt, „wenn
ein fremdes Volk oder ein tückischer Tyrann dahin strebt, das ganze Geschlecht
zu Hunden, Affen und Schlangen zu vertieren“, und ahnte nicht, daß seine
jungen Leser schon längst glaubten von solchen tückischen Tyrannen beherrscht
zu werden. Franzosen und Polen, rief er aus, haben eine Verfassung, „und
uns will man in dumme Geistlosigkeit hinstrecken wie die toten Klötze“; dem
preußischen Heere aber hielt er die lockere Milizverfassung der schwedischen
Indelta-Armee, die im letzten Kriege rein nichts geleistet hatte, als Muster vor.
Über solchen unbedachten, aufreizenden Worten wurden die väterlichen War-
nungen, welche der edle Mann an „die teutsche unflügge Narrheit und
Unbescheidenheit“ richtete, ganz vergessen. Es ist nicht anderes, der Groll
über die Enttäuschungen dieser ersten Friedensjahre steigerte sich in den Ge-
lehrtenkreisen allmählich bis zu krankhafter Erhitzung. Sogar Schleiermacher
redete im Sommer 1818, als ob ein neues 1806 herannahe — und dies