Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Graf Bernstorff Minister des Auswärtigen. 459 
berichte einsendeten, nur einen Staatsmann, der das Zeug zu einem 
Minister besaß, und dieser Eine, W. Humboldt, war unmöglich. Er stand 
bei sämtlichen Großmächten in so schlechter Nachrede, daß er in der 
Quadrupelallianz niemals eine erfolgreiche Rolle spielen konnte; bei Hofe 
unbeliebt war er von Hardenberg noch immer durch das alte gegenseitige 
Mißtrauen getrennt und paßte nicht für ein Departement, das nach wie 
vor der besonderen Aufsicht des Staatskanzlers untergeordnet bleiben sollte; 
er hatte endlich erst im letzten Herbst den Eintritt in das Ministerium 
abgelehnt und diese Weigerung soeben wiederholt, indem er aus London 
schrieb: die Minister besäßen keine wahre Verantwortlichkeit, mit Männern 
wie Schuckmann wolle er diese Verantwortlichkeit auch nicht teilen.) 
Unter solchen Umständen war es wohl begreiflich, daß der König, der 
schon so viele Männer aus dem deutschen Auslande in seinen Dienst ge- 
zogen hatte, sich auch diesmal um die lebhaft ausgesprochene Empfind- 
lichkeit seiner eingeborenen Beamten nicht kümmerte und wieder die Be- 
rufung eines nichtpreußischen Deutschen beschloß. 
Ein Deutscher war Graf Bernstorff auch im dänischen Dienste immer 
geblieben. Nach einer kurzen diplomatischen Lehrzeit bei der Berliner Ge- 
sandtschaft hatte er einst schon mit siebenundzwanzig Jahren die Leitung 
des Auswärtigen Amts in Kopenhagen übernommen und als letzter Ver- 
treter der vielhundertjährigen deutschen Adelsherrschaft in Dänemark 
manchen harten Strauß mit dem erwachenden unduldsamen National- 
stolze des Inselvolks bestehen müssen; die deutsche Bernstorffsche Partei 
und die Rosenkrantzsche dänische Nationalpartei standen einander schroff 
gegenüber. An den Ruhm seines Großoheims und seines Vaters, der 
beiden großen Bauernbefreier Dänemarks, reichten seine Verdienste nicht 
heran; auch das Glück war seiner Verwaltung nicht hold. Er konnte 
den Raubzug der Engländer gegen Kopenhagen nicht verhindern, und auch 
späterhin, als er wieder in die Gesandtenlaufbahn zurückgetreten war, 
gelang es ihm nicht, seinem von allen Großmächten preisgegebenen Mon- 
archen auf dem Wiener Kongresse ein besseres Los zu bereiten. Trotz 
dieser Mißerfolge galt er allgemein als ein ehrenhafter, mutiger und 
kluger Staatsmann. Im persönlichen Verkehre zeigte er würdige und 
doch sanfte Formen, wie sie König Friedrich Wilhelm liebte, eine bezau- 
bernde Anmut, die aus einem edlen Herzen kam. In dem schönen Park 
seiner Amtswohnung auf der Wilhelmsstraße trafen an Sommerabenden 
Gneisenau und Clausewitz mit einem fröhlichen Kreise geistreicher Menschen 
zusammen und in der Regel kamen auch die befreundeten Nachbarn, die 
Radziwills, über die Treppe, welche die Gartenmauer überbrückte, hinüber- 
gestiegen. Der Minister war durch seine Oheime, die Gebrüder Stolberg, 
früh in die Literatur eingeführt, zeigte selber ein liebenswürdiges poetisches 
  
*) Humboldt an Hardenberg, 29. Mai 1818.
	        
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