462 II. 8. Der Aachener Kongreß.
blieben ist. Er behauptete, daß die Preßvergehen eine eigene Art von
Delikten bildeten, die mit anderen Gesetzesverletzungen nichts gemein habe,
während doch Majestätsbeleidigung, Gotteslästerung und ähnliche Ver-
brechen durch das gesprochene Wort oder durch Tätlichkeiten ebensowohl
wie durch das Mittel der Presse begangen werden können und durch die
Verschiedenheit des Mittels ihr Wesen nicht verändern. Seine kecken
Sophismen fanden Anklang nicht bloß bei der Angstlichkeit der Kabinette,
sondern auch bei dem Standesgefühl der Schriftsteller, die in ihrer Eitel-
keit nicht bemerkten, daß Gentz der Presse nur darum eine stolze Aus-
nahmestellung außerhalb des gemeinen Rechtes zuwies, weil er sie durch
Ausnahmegesetze knebeln wollte.
Den Ruhm des ersten deutschen Publizisten durfte ihm noch immer
niemand streitig machen; mit der klassischen Schönheit seines so kunstvoll
durchgebildeten und doch so einfachen Stiles, mit der gedrungenen Kraft
seiner Dialektik schlug er jeden Nebenbuhler aus dem Felde. Aber wohin
war der sittliche Zorn und der Gedankenreichtum seiner großen Jahre,
wohin jener weitherzige Freisinn, der einst die nationale Eigenart der Völker
so mannhaft gegen den vernunftwidrigen Zwang des Weltreichs verteidigt
hatte? Nur der eine Gedanke der Erhaltung des Bestehenden kehrte jetzt
mit trostloser Eintönigkeit in allen seinen Schriften wieder. Der greisen-
hafte Wahn, als ob die ewige Bewegung der Geschichte auf den Wink
der Hofburg nun für immer aufhören müßte, brachte die schöpferische
Kraft dieses einst so fruchtbaren Geistes zum Versiegen und schlug den
Mann, der einst der Ritter Europas geheißen hatte, mit jämmerlicher Angst,
da Gentz doch zu scharf sah um an jenen Widersinn in vollem Ernst zu
glauben. Er hatte sich nach und nach ganz in Osterreich eingelebt, fast
mit allen Freunden seiner Jugend den Verkehr abgebrochen und fand bald
eine boshafte Freude daran, seine alte Heimat als das Land des hohlen
Verstandesdünkels zu verhöhnen, den fanatischen preußischen Renegaten
Adam Müller, der so tief unter ihm selber stand, als Deutschlands größten
Schriftsteller zu verherrlichen.
Wie einst Platon und seine politischen Schüler den ganzen Reich-
tum attischer Sprache und attischen Geistes aufboten um die unmenschliche
Rauheit des Spartanerstaats zu preisen, so stellte Gentz das schwere Rüstzeug
seiner protestantisch-norddeutschen Bildung in den Dienst einer undeutschen
Staatskunst, die alle Freiheit unserer Kultur zu vernichten drohte. Wie
jene ward auch er zunächst durch einen politischen Irrtum mißleitet,
da er in der Hofburg den Hort und Halt der konservativen Sache
Europas zu finden glaubte; doch auch die unersättliche Genußsucht bannte
ihn im österreichischen Lager fest. Er zählte zu jenen geborenen Vir-
tuosen des Genusses, welche ihre Kraft nur in der weichen Luft eines
verfeinerten sinnlichen Daseins entfalten können und darum berechtigt
sind sich den Boden zu erobern, der ihrer Begabung zusagt. Aber wie