Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

40 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre. 
Gesinnung verächtlich; ihre verständige Wasserklarheit erinnerte ihn an 
den alten Nicolai und erfüllte ihn zugleich mit Besorgnis, denn er lebte 
des Glaubens, die reine Verstandesbildung führe zur Anarchie, da dem 
Verstande keine Autorität innewohne. Bald bemerkte er auch mit Ekel, 
wie der junge Liberalismus in denselben unduldsam gehässigen Ton ver- 
fiel wie einst der Ketzerrichter der Berliner Aufklärung und alle Anders- 
denkende als Fürsten- oder Pfaffenknechte verfolgte. Diesen Sklaven der 
Parteimeinung hielt er entgegen: es gehe nur einen wahren Liberalismus, 
die Liberalität der Gesinnungen, des lebendigen Gemüts. 
Mit unüberwindlichem Abscheu erfüllte ihn das aufblühende Zeitungs- 
wesen; ihm entging nicht, wie verflachend und versandend dies Haschen nach 
den Tagesneuigkeiten, diese ungesunde Vermischung von ödem Klatsch und 
politischer Belehrung auf die allgemeine Bildung wirken, welche Frechheit 
und Nichtigkeit unter allen diesen unverantwortlichen Namenlosen, die 
hier über Menschen und Dinge zu Gericht saßen, aufwuchern mußte. 
„Tiefe Verachtung öffentlicher Meinung“ schien ihm der einzige Gewinn 
aus der belobten Preßfreiheit. Achselzuckend wendete er sich ab von den 
Götzen des Tages: „wer in der Weltgeschichte lebt, dem Augenblick sollt' er 
sich richten?" — Wie war es doch so still geworden um den Alten! Auch 
Herder und Wieland waren dahingegangen, und das schöne Verhältnis 
zu seinem fürstlichen Freunde wurde durch eine unwürdige Kränkung ge- 
trübt. Der Dichter wollte nicht dulden, daß ein abgerichteter Hund dort 
seine Künste zeigte, „wo der bekränzte Liebling der Kamönen der inm'ren 
Welt geweihte Glut ergoß". Der Großherzog aber bestand auf seiner 
Laune; Goethe mußte vor dem Hunde des Aubry weichen und zog sich 
von der Leitung der Weimarischen Bühne zurück. 
Die freie Heiterkeit seines Wesens blieb von alledem unberührt. Mit 
jugendlichem Eifer verteidigte er in seiner neuen Zeitschrift „Kunst und 
Altertum", wie vormals in den Propyläen, die klassischen Ideale. Der 
Kunst-Meyer und die anderen unter dem gefürchteten Zeichen W. K. F. 
versteckten Weimarischen Kunstfreunde unterstützten ihn im Kampfe wider 
„die neue frömmelnde Unkunst“. Freilich stand der Dichter an der Schwelle 
zweier Zeitalter, und hinter dem stolzen, zuversichtlichen Tone seiner 
Polemik verbarg sich zuweilen ein Gefühl der Unsicherheit. Wie vormals 
Winckelmann zugleich für die antiken Bildwerke der Villa Albani und für 
die frostige Eleganz eines Raphael Mengs sich begeisterte, so kam auch 
Goethe von seinem alten Genossen Tischbein nicht ganz los und schmückte 
ein steifes Bild des Freundes, das von natürlicher Wahrheit wenig oder 
nichts enthielt, mit den Versen: „heute noch im Paradiese wandern 
Lämmer auf der Wiese, und Natur ist's nach wie vor!“ Dabei behielt 
er doch Fühlung mit allen frei aufstrebenden Talenten der deutschen Kunst 
und begrüßte mit warmem Lobe die ersten kühnen Schritte Christian 
Rauchs.
	        
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