Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Ermordung Kotzebues. 523 
Anruf den Dolch in die Kehle. Er war darauf gefaßt, sich durch Selbst- 
mord der Strafe zu entziehen, aber auch die Flucht hielt er sich bis zu- 
letzt offen. Erst da Kotzebue in seinem Blute schwamm und der kleine 
Sohn des Ermordeten zu der Leiche des Vaters heranstürzte, überfiel den 
Mörder auf einen Augenblick die Scham, und mit unsicherer Hand führte 
er einen Dolchstoß gegen seine eigene Brust — „dem Sohne gleichsam 
zum Ersatze“, wie er nachher gestand. Als man den Schwerverwundeten 
festnahm, rief er noch laut: „Hoch lebe mein deutsches Vaterland und 
im deutschen Volke alle, die den Zustand der reinen Menschheit zu för- 
dern streben!“ Neben dem Leichnam fand sich ein Schriftstück „Todes- 
stoß dem A. von Kotzebue“, darin die Worte: „ein Zeichen muß ich Euch 
geben, muß mich erklären gegen diese Schlaffheit, weiß nichts edleres zu 
tun als den Erzknecht und das Schutzbild dieser feilen Zeit, Dich, Ver- 
derber und Verräter meines Volks, A. von Kotzebue niederzustoßen“" — 
und dann die blasphemischen Verse Follens: „ein Christus kannst Du 
werden." Der Burschenschaft hatte Sand in einem zu Jena zurück- 
gelassenen und erst nach der Tat aufgefundenen Briefe seinen Austritt 
angekündigt, weil er jetzt ausziehen müsse, um Volksrache zu üben. Auf 
seinem Schmerzenslager im Gefängnis zeigte er die höchste Standhaftig- 
keit, unerschütterlichen Gleichmut, keine Spur von Reue. In den Ver- 
hören log er als ein treuer Schüler Follens mit eiserner Stirn, denn 
gegen die Knechte der Zwingherren war alles gestattet; um Follen zu 
decken beschuldigte er sogar einen seiner besten Freunde, Asmis fülschlich, 
daß er ihm das Reisegeld geliehen habe, und ließ sich selbst durch die 
heiligen Beteuerungen des Unschuldigen nicht von seiner Verruchtheit 
abbringen, bis er endlich doch, völlig überführt, die Wahrheit eingestehen 
mußte. 
Die Untersuchung wurde mit schonender Milde geführt, aber auch 
mit lächerlichem Ungeschick, so daß die grundsätzliche Verlogenheit der 
Schwarzen den freiesten Spielraum fand. Namhafte Richter mochten sich 
zu dem verhaßten Geschäfte der Demagogenverfolgung nicht hergeben; da- 
her mußte man die Untersuchung fast überall unfähigen juristischen Hand- 
langern anvertrauen, und von dem wenigen, was überhaupt erwiesen 
werden konnte, kam nichts an den Tag. Follen, der verdächtigste aller 
Zeugen, trieb schon bei der Voruntersuchung in Jena ein dreistes Spiel 
mit den weimarischen Kommissaren. Er nahm vor ihren Augen einen 
Brief weg, den sie bei der Durchsuchung seines Hauses gefunden hatten, 
und ging hinaus um das Schreiben zu vernichten. Er konnte sich auf 
die auffälligsten Erlebnisse aus den jüngsten Wochen nicht mehr besinnen, 
obwohl der kalte Rechner, der kein Wort unerwogen sprach, sicherlich auch 
keines wieder vergaß; und als man ihm vorhielt, diese beispiellose Gedächt- 
nisschwäche mache keinen günstigen Eindruck, da erwiderte er mit terroristi- 
schem Trotz: das sei ihm ein ganz unbekannter kriminalistischer Grund-
	        
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