Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

548 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse. 
geworden; alle aber beherrschte, wie der Abgeordnete Schott offen aus— 
sprach, die Furcht vor den drohenden Karlsbader Beschlüssen, die so leicht 
„das kostbarste Recht des Landes, den freien Vertrag gefährden könnten.“ 
Auf diesen Eckstein schwäbischer Freiheit beschränkten sich jetzt die Hoff— 
nungen der Ernüchterten; wenn nur die neue Ordnung vertragsmäßig 
zustande kam, so war man bereit im einzelnen nachzugeben. Ohne 
einen vereinbarten Grundvertrag konnten sich die Alt-Württemberger, die 
so lange unter dem Schutze des Tübinger Vertrags und des Erbver— 
gleichs gelebt, die politische Freiheit nicht vorstellen; recht nach dem Herzen 
seiner Landsleute hatte Schiller gesungen: 
Und über jedem Hause, jedem Thron 
Schwebt der Vertrag wie eine Cherubswache. 
Mehrere Führer der alten Opposition, Waldeck, Massenbach, Bolley, 
erschienen in dem neuen Landtage nicht wieder; andere, wie der welt— 
kluge Weishaar hatten sich inzwischen der Regierung angeschlossen. Um 
seine Volksvertreter vor Verführung zu sichern, ließ der König den eifrigen 
Altrechtler Paulus, der auf Besuch in sein Heimatland gekommen war, 
kurzerhand ausweisen. Der Todfeind der württembergischen Schreiber, 
der freimütige F. List, wurde durch ein ungemein einfaches Verfahren 
von dem Landtage ausgeschlossen. Da er am Tage der Wahl sein drei— 
ßigstes Lebensjahr noch nicht ganz vollendet hatte, so erklärte das Oberamt 
Reutlingen, auf Befehl der Regierung, seinen Wählern kurzweg: ihre 
Stimmzettel seien ungültig, es solle ihnen aber gestattet werden „am 
nächsten Montag frisch zu wählen“.“) Als er darauf, nunmehr un- 
zweifelhaft wählbar, in einem anderen Bezirke gewählt werden sollte, 
verwickelte man ihn in eine Untersuchung wegen der revolutionären 
Sprache seines Wahlaufrufs, und so gelang es, den unbequemen Mann 
während des ganzen Landtags fern zu halten. Die Vorsicht war kaum 
nötig; denn die Oligarchie der Altrechtler hatte bereits in der Stille 
ihren Frieden mit dem Ministerium geschlossen. Die Versammlung be— 
gann sogleich mit Beweisen der Ergebenheit, welche von dem alten 
Trotze seltsam abstachen und wenig geeignet waren den Monarchen von 
seiner zynischen Menschenverachtung zu heilen. Sie dankte dem Könige, 
weil er „von neuem den Weg des Vertrages betreten, auf dem sich 
von jeher die Verfassung des Landes entwickelt hat,“ und ernannte 
alsbald eine Kommission zur Beratung der neuen Verfassungsvorlage, 
welche sich von der letzten, verworfenen, wesentlich nur durch ihre ge— 
drängtere, zweckmäßigere Form unterschied. Am 2. Sept. erstattete die 
Kommission ihren Bericht, und hatte der alte Landtag durch pedantische 
  
*) Erlaß des Oberamts Reutlingen an den Kupferschmied Peter Votteler u. A., 
10. Juli 1819.
	        
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