48 II. 3. Geistige Strömungen der ersten Friedensjahre.
der Boisserees in Heidelberg besucht. Sie alle verhehlten nicht, wie dürftig
ihnen das Berliner Kunstleben neben dem Reichtum des Westens er—
schien, und waren mit dem König einig in dem Entschlusse, daß der
Staat nimmermehr in das banausische Wesen des alten Jahrhunderts
zurücksinken dürfe. Als Altenstein bald darauf an die Spitze des Unter-
richtswesens trat, nahm er sich vor, das mit der Berliner Universität be-
gonnene Werk Wilhelm Humboldts fortzuführen und die preußische Haupt-
stadt auch zu einer Heimstätte deutscher Kunst zu erheben. Das Mäce-
natentum König Friedrichs I. hatte immer zunächst an den Glanz des
Hofes gedacht; jetzt da die preußische Krone sich zum zweitenmale der
bildenden Künste mit Eifer annahm war sie sich der großen Kulturauf-
gaben des Staates endlich bewußt geworden. Die Pflege der Kunst er-
schien ihr nunmehr als eine Pflicht der sittlichen Volkserziehung, damit
„aus dem Publikum etwas werde“, wie Schinkel zu sagen pflegte; sie dachte
groß von der Freiheit des Künstlers und begnügte sich, den schöpferischen
Köpfen würdige Aufgaben zu stellen ohne sie in ihrer Eigenart zu meistern.
Aber dieser vornehmen Gesinnung des Königs entsprachen die Kräfte des
erschöpften Staatshaushalts keineswegs. Preußen mußte wieder einmal,
wie schon so oft, versuchen mit armseligen Mitteln Großes zu schaffen,
und zur rechten Zeit erschien der rechte Mann.
Ein universaler Geist, wie die deutsche Kunst seit Dürers Tagen
keinen mehr gesehen, zugleich Baumeister, Bildhauer, Maler, Musiker
und, wenn er schrieb, immer des edelsten, wirksamsten Wortes sicher,
hielt Karl Friedrich Schinkel seine Augen unverwandt auf die höchsten
Ziele der Kunst gerichtet: das Kunstwerk war ihm „ein Bild der sittlichen
Ideale der Zeit“. Tätig, schöpferisch in jedem Augenblicke, ein Verächter
der Trägheit, nannte er das Phlegma einen sündhaften Zustand in Zeiten
der Bildung, einen tierischen in den Zeiten der Barbarei. Mit ganzem
Herzen hing er an seiner märkischen Heimat. Nun er diesen Staat
im Glanze siegreicher Waffen strahlen und den Kampf des Lichtes gegen
die Finsternis, der ihn selbst so oft in seinen Künstlerträumen beschäftigte,
glorreich beendigt sah, schien ihm die Zeit gekommen auch die Anmut
und die Fülle einer gereiften Kultur in das preußische Leben einzuführen
und Berlin in einen heiteren Sitz der Musen zu verwandeln. Wie einst
Palladio seinem Vicenza so dachte er der preußischen Hauptstadt den
Stempel seines Geistes aufzuprägen; in der Mitte das Schloß, die Uni-
versität, die Theater und Museen, rings umher statt der eintönigen Zeilen
niederer Häuser stattliche Palazzi und freundliche Villen mit fließenden
Brunnen, alles im frischen Grün der Gebüsche versteckt, an der Stadt-
mauer prächtige Tore und draußen vor dem Leipziger Platze ein hoher
gotischer Dom, das Siegesdenkmal des Befreiungskrieges. Aber wäh-
rend jenem glücklichen Vicentiner ein Geschlecht reicher Signoren uner-
schöpfliche Mittel darbot und ihm die Vaterstadt wie einen Haufen weichen