Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Die Teplitzer Punktation. 555 
trugen; sie sprachen sogar von einer Felonie deutscher Fürsten gegen den 
Bund, als ob die Souveränität von Napoleons Gnaden bereits vernichtet 
und die Majestät des alten Reichs wieder hergestellt wäre. Aber diese 
unitarische Politik entsprang nicht der nationalen Gesinnung, sondern dem 
österreichischen Partikularismus: nur darum sollte der Deutsche Bund die 
Machtbefugnisse einer Staatsgewalt erhalten, damit den Deutschen die 
Lust „sich in ein Deutschland zu vereinigen“ für immer verginge, damit 
der Seelenschlummer der Völker Osterreichs von der höheren Kultur, den 
regeren geistigen Kräften ihrer deutschen Nachbarn ungestört bliebe. Auf das 
Bestimmteste, auf wiederholten Befehl seines Monarchen, sprach Metternich 
aus, er wolle den Deutschen Bund durch Osterreichs Mitwirkung retten 
vder die k. k. Staaten von Deutschland trennen, um Osterreich allein zu 
retten; und noch fand sich niemand in der Nation, der das namenlose 
Glück dieser Trennung begriffen und den befreienden Ruf erhoben hätte: 
los von Osterreich! 
Verderblich, undeutsch wie die Ziele dieser Politik waren auch ihre 
Mittel. Der Deutsche Bund besaß noch weder ein Bundesheer, noch ein 
Bundesgericht, überhaupt keine gemeinsame nationale Institution außer 
dem Bundestage; und ein solcher Bund, der die Deutschen nicht einmal 
gegen das Ausland zu schützen verstand, sollte jetzt — nach den Worten 
der Teplitzer Verabredung — „im reinen Begriffe der Föderation“ be- 
fugt sein, das Allerheiligste der Nation Martin Luthers, die freie Be- 
wegung der Gedanken durch Verbote und Verfolgungen zu stören. So 
sank die deutsche Politik, wie ein treffendes Wort sagt, zur deutschen 
Polizei herab; Jahrzehntelang ging fast das gesamte Leben des Bundes- 
tags in polizeilichen Notmaßregeln auf. Der natürliche Gegensatz zwischen 
der absolutistischen Zentralgewalt und den konstitutionellen Gliederstaaten 
verschärfte sich bis zur unversöhnlichen Feindschaft; wer den Glauben an 
die politische Freiheit nicht aufgab, sah sich fortan genötigt den Deutschen 
Bundestag zu bekämpfen, und so ward die liberale Partei, die doch fast 
allein den Gedanken der nationalen Einheit mit Begeisterung ergriffen 
hatte, wider Wissen und Willen dem Partikularismus in die Arme ge- 
trieben. Auf dem Wiener Kongresse hatten alle Parteien gefühlt, daß man 
der Nation einige „Rechte der Deutschheit“, ein von Bundes wegen gewähr- 
leistetes bescheidenes Maß politischer Freiheit zugestehen müsse, und nur 
weil sich der Dünkel der rheinbündischen Souveränität über dies Minimum 
nicht zu einigen vermochte, war die Bundesakte bei einigen allgemein 
gehaltenen Versprechungen stehen geblieben. Jetzt ward mit einem Male 
alles auf den Kopf gestellt. Nicht ein geringstes, sondern ein höchstes Maß 
politischer Rechte festzusetzen sollte dem Bunde obliegen; er sollte der Nation 
nicht mehr der Bürge ihrer Freiheit sein, sondern ihr vorschreiben, welche 
Grenze die Rechte der Landtage, der Presse, der Universitäten niemals 
überschreiten dürften. Und mit welcher unerhörten Frivolität dachte man
	        
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