556 II. 9. Die Karlsbader Beschlüsse.
kurzerhand „die heute berüchtigten Redakteurs, die notorisch schlechtgesinnten
Lehrer“ ihrer gesetzlichen Rechte zu berauben, als ob die Gewaltstreiche
des Wohlfahrtsausschusses wider die Verdächtigen auf dem friedlichen
deutschen Boden sich erneuern sollten!
Und warum dies finstere Mißtrauen gegen ein treues, gesetzliebendes
Volk? Die Landtage von Bayern und Baden hatten im Eifer ihrer jugend-
lichen Unerfahrenheit einige törichte Anträge angenommen; und doch
lehrte soeben die zahme Haltung der württembergischen Stände, daß die
Regierungen nur die Zügel etwas straffer anzuziehen brauchten, um den
Ubermut ihrer harmlosen Volksvertreter zu bändigen. Die Presse so-
dann hatte durch zielloses Poltern und Schelten schwer gesündigt, und
es war nicht ganz unrichtig, was Gentz in seiner Denkschrift über den
Preß-Unfug behauptete: „daß es heute nicht eine einzige als Privatunter-
nehmung erscheinende Zeitschrift in Deutschland gibt, welche die Wohl-
gesinnten als ihr Organ betrachten könnten, ein Fall, der selbst in dem
Zeitpunkte der blutigsten Anarchie in Frankreich ohne Beispiel ist.“ Aber
die Presse war in Deutschland unzweifelhaft nicht die öffentliche Meinung,
die Masse der Nation nahm an der Entrüstung der Journalisten wenig
Anteil, und wer die Tadelsucht der Deutschen kannte, mußte furchtlos
voraussehen, daß die große Mehrheit ihrer Zeitungen zu allen Zeiten
der Opposition angehören würde. Die schwächlichen Urteile so vieler
gebildeter Männer über Kotzebues Ermordung bewiesen freilich, daß ein
Teil der höheren Stände an der bestehenden Ordnung zu verzweifeln be-
gann; doch eine Politik blinder und roher Verfolgung war sicherlich das
beste Mittel, um diese Verzweiflung noch zu steigern. Die radikalen Toll-
heiten der akademischen Jugend endlich verdienten unleugbar strenge Ahn-
dung, aber sie beschränkten sich auf drei oder vier Universitäten und auch
da nur auf kleine Kreise, und es hieß den patriotischen Geist der jungen
Leute mutwillig auf Abwege treiben, wenn man jetzt amtlich die Hoch-
schulen als die Pflanzstätten des Hochverrats bezeichnete.
Das Entsetzlichste blieb doch, daß der Staat, der den Deutschen ihre
Freiheit wiedergewonnen, der von der nationalen Einheit alles zu hoffen,
nichts zu fürchten hatte, jetzt zuerst und freiwillig das Joch der öster-
reichischen Fremdherrschaft auf seinen Nacken nahm und also dem Teile
der Nation, der nicht über den nächsten Tag hinaus sah, als ein ge-
schworener Feind erschien. Das lichte Gestirn des fridericianischen Staates
war verdunkelt durch das Gewölk des Argwohns; die Besorgnis eines
edlen, durch verblendete Ratgeber belogenen Monarchen und die alters-
schwache Ratlosigkeit Hardenbergs lenkten ihn ab von den Bahnen, auf
denen er zur Größe aufgestiegen war; und zufrieden erklärte Metternich
dem russischen Gesandten, nachdem Osterreich die Teplitzer Ernte einge-
heimst: „Preußen hat uns einen Platz überlassen, welchen ein Teil der
Deutschen dem preußischen Staate zudachte!“ —