Beginn der Karlsbader Verhandlungen. 557
Sobald die beiden Großmächte sich ohne Vorbehalt geeinigt hatten, war
der Sieg der österreichischen Politik entschieden. In der Karlsbader Ver—
sammlung fand sie keinen einzigen grundsätzlichen Gegner. Zu den beiden
Hannoveranern war inzwischen noch der Sachse Graf Schulenburg hin—
zugekommen, gleich ihnen ein strenger Anhänger des altständischen Staats-
wesens; der Mecklenburger Frhr. von Plessen, ein ungleich freierer, be-
weglicherer Kopf mußte sich, nach den Traditionen seiner Heimat, dieser
Richtung im wesentlichen anschließen. Auch die Vertreter der sogenannten
konstitutionellen Staaten zeigten eine tadellose Gefügigkeit. Graf Rech-
berg, der eigentliche Urheber der bayrischen Staatsstreichspläne, hegte zwar
nach Münchener Brauch einiges Mißtrauen gegen Osterreich, aber noch
weit mehr Furcht vor der Revolution; und diese gab stets den Ausschlag,
obgleich er ausdrücklich angewiesen war, nichts zu bewilligen was der
Souveränität oder der Verfassung Bayerns zuwiderliefe. Frhr. von Berstett
erging sich in so gräßlichen Schilderungen von der Verworfenheit der
Karlsruher Landstände, daß Gentz meinte: ihn zu hören sei zugleich ein
Greuel und ein Fest. Der Nassauer Marschall überbot noch den reaktionären
Fanatismus des Badeners, und selbst Graf Wintzingerode ließ mindestens
an Feindseligkeit gegen die Demagogen nichts zu wünschen übrig, wenn-
gleich ihm die dornige Aufgabe zufiel, den Ruhm des konstitutionellen
Musterkönigs nicht ganz bloßzustellen.
Die Versammelten bestärkten einander wechselseitig in ihrer Angst
vor der großen Verschwörung, und Metternich verstand sie so geschickt zu
behandeln, daß Bernstorff dem Staatskanzler schreiben konnte: „Hier ist
alles durchzusetzen, später nichts mehr!“ Sie lebten sich in die öster-
reichische Anschauung der deutschen Dinge so gänzlich ein, daß sie zuletzt
fast allesamt ein großes und gutes Werk zu verrichten glaubten und sich
der schönen patriotischen Einigkeit der deutschen Kronen aufrichtig freuten.
„Der Erfolg steht in Gottes Hand“", schrieb Bernstorff nach vollbrachter
Arbeit, „aber immer scheint es ein Großes zu sein, daß die deutschen Fürsten
dahin gelangt sind in dem Sturme der Zeit ihre Grundsätze und Ab-
sichten offen, bestimmt und einmütig auszusprechen.““) Das Gefühl der
Befriedigung war um so stärker, da die deutschen Staatsmänner ganz
unter sich blieben und keine auswärtige Macht auch nur versuchte einen
Einfluß auf die Karlsbader Verhandlungen zu gewinnen. Noch ließ sich's
niemand träumen, daß dies schöne Schauspiel nationaler Selbständigkeit
und Eintracht nichts anderes war als die Unterwerfung der deutschen
Nation unter die Fremdherrschaft Osterreichs.
Dafür war freilich in der Mannigfaltigkeit des deutschen Lebens ge-
sorgt, daß jedes Gewicht irgendwo ein Gegengewicht finden und selbst dieser
glänzende Triumph des Hauses Osterreich durch einen kleinen Mißerfolg
*) Bernstorff an Hardenberg, 2. Sept. 1819.