Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

588 II. 10. Der Umschwung am preußischen Hofe. 
des Rechts empfangene“ Verfassung und ergingen sich sodann in wütenden 
Schimpfreden gegen jene „fremden Regierungen, welche das Glück des würt— 
tembergischen Volkes mit Schmähsucht betrachten und sich in törichtem 
Wahne vermessen, den Württemberger vor eine fremde Inquisition in das 
Ausland zu schleppen, um ihn dort nach unwürttembergischen Gesetzen zu 
richten.“ Sie forderten schließlich — noch deutlicher als einige Monate zu— 
vor die Liberalen der bayrischen Kammer — geradezu den Krieg gegen die 
beiden Großmächte, „den rühmlichsten Kampf für die heiligsten Güter eines 
mündigen Volkes: das ganze Volk wird begeisterungsvoll unsere Reihen 
verstärken!“ Wie kindisch auch diese Prahlereien klangen, in Wien und 
Berlin ward der Vorfall doch sehr ernst genommen; denn was sollte aus 
dem deutschen Bundesheere werden, wenn jener zuchtlose politische Partei— 
geist, der sich bereits im bayrischen Heere mehrmals geäußert hatte, nun auch 
in andere der kleinen napoleonischen Kontingente hinüberdrang? Beide 
Großmächte verlangten in Stuttgart strenges Einschreiten gegen die Unter— 
zeichner der Adresse. König Wilhelm gehorchte, aber die Strafen fielen 
so mild aus, daß man seine wahre Meinung leicht erraten konnte. Eine 
solche Politik, unwahr und widerspruchsvoll in jedem Worte, konnte den 
Triumphzug Osterreichs wahrlich nicht aufhalten. — 
Die Warschauer Reise König Wilhelms erschien um so körichter, 
da die russische Politik jenen Zustand ratloser Unsicherheit, dem sie seit 
dem Frühjahr 1818 verfallen war, noch immer nicht überwunden hatte. 
Nesselrode zeigte sich nach wie vor als ergebener Schüler Metternichs, 
billigte unbedingt alles was in Karlsbad vorging;") Kapodistrias sprach 
ebenso lebhaft dawider; der Zar selbst war im Grunde mit Nesselrode ein- 
verstanden, aber nicht fest genug um die liberalen Ansichten seines griechi- 
schen Freundes kurzweg zurückzuweisen. Sofort nach den Karlsbader Kon- 
ferenzen hatte Kaiser Franz dem Zaren in einem Handschreiben darge- 
legt, wie schwer die Ruhe Europas gefährdet sei durch die sträfliche Nachsicht 
der kleinen deutschen Kronen „gegen die Narren und Schreier“. Beide 
deutsche Großmächte legten sodann nach vollbrachter Arbeit die neuen Bun- 
desbeschlüsse dem Zaren vor und fanden warmen Dank. Alle auswärtigen 
Diplomaten meldeten übereinstimmend, wie tief Alexander von der Gefahr 
einer allgemeinen revolutionären Schilderhebung überzeugt sei; nur des- 
halb, äußerte er wiederholt, bleibe das russische Heer auf Kriegsfuß.“) 
Unterdessen trieb Kapodistrias liberale Politik auf eigene Hand. Er 
stellte die Vertreter Bayerns und Badens ernstlich zur Rede, warum ihre 
Höfe die Souveränität so leichtsinnig preisgegeben hätten? Wie nun, fragte 
er den Badener Blittersdorff, wenn der Bundestag einmal der Krone 
Bayern die Exekution gegen Baden übertrüge! „Die Furcht ist immer ein 
*) Blittersdorffs Berichte, Petersburg 14. Aug. 1819 ff. 
**) Krusemarks Bericht, 8. Dez. 1819. Bericht des schwedischen Gesandten Löwenhjelm 
(Beilage zu Krusemarks Bericht, 2. Jan. 1820). 
 
	        
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