Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Zweiter Teil. Bis zu den Karlsbader Beschlüssen. (25)

Lachmann. Bopp. 71 
der altdeutschen Dichtung zu einer Liebhaberei der teutonischen Jugend zu 
werden. Ein Glück für die Wissenschaft, daß Lachmann durch den Ernst 
seines unnachsichtigen Tadels die Unreifen zurückschreckte und den Dilet— 
tantismus bald gänzlich aus dem Berichte der deutschen Sprachkunde hinaus- 
fegte. Währenddem unternahm Benecke seine lexikographischen Arbeiten, 
und der anspruchslose Friedrich Diez trug in aller Stille die ersten Werk- 
stücke zusammen für das mächtige Gebäude seiner romanischen Grammatik. 
Auch er war wie Lachmann als Freiwilliger mit dem deutschen Heere in 
Frankreich eingezogen, er hatte in Gießen mit Follen und den wildesten 
Hitzköpfen des Teutonentums an lauter Tafelrunde gesessen und blieb 
doch im Geiste so frei, daß er wie ein geborener Provenzale der schönen 
Sprache der Troubadours bis in die Tiefe des Herzens blicken konnte. 
Die ungleiche Begabung der Generationen wird durch die ungleiche 
Gunst der äußeren Umstände allein nicht erklärt; die Zeit erzieht nur den 
Genius, sie schafft ihn nicht. Immer sobald eine große Wandlung des 
geistigen Lebens sich in der Stille vorbereitet hat, läßt eine geheimnisvolle 
Waltung, deren Ratschluß kein menschlicher Blick durchdringt, ein reich- 
begabtes Geschlecht entstehen. Zur rechten Zeit erscheinen die rechten 
Männer, Fund folgt auf Fund, ein heller Kopf arbeitet dem andern in 
die Hände, ohne von ihm zu wissen. So jetzt, da eine große Stunde für 
die philosophisch-historischen Wissenschaften geschlagen hatte. 
Derweil die Brüder Grimm noch in unbestimmten Vermutungen über 
die gemeinsame Abstammung der Sprachen Europas sich ergingen, hatte 
der Mainzer Franz Bopp, ganz unabhängig von ihnen, bereits den Grund- 
stein gelegt für die neue Wissenschaft der Sprachvergleichung. Seit vielen 
Jahren schon lebte Wilhelm Humboldt des Glaubens, daß Sprachphilo- 
sophie und Geschichtsphilosophie in den letzten Tiefen der Menschheit sich 
begegnen müßten. Wie oft hatte er in seinen Briefen an Schiller aus- 
geführt, die Sprache sei ein lebendiger Organismus, mit der Persönlich- 
keit des Sprechenden eng verwachsen. Er wußte längst, daß der eigen- 
tümliche Charakter der einzelnen Sprachen sich vornehmlich an ihrem 
grammatischen Bau erkennen lasse; nur die Geschäftslast seines diploma- 
tischen Berufs verhinderte ihn noch diese Ideen weiter auszuspinnen. Von 
ähnlichen Ahnungen erfüllt hatte der junge Bopp sich schon früh die 
Kenntnis der klassischen und der meisten neu-europäischen Sprachen an- 
geeignet; er hoffte die in dem Sprachenreichtum unseres Geschlechts ver- 
borgene Harmonie zu entdecken. Es galt zunächst den genealogischen Zu- 
sammenhang mehrerer Sprachen unzweifelhaft sicherzustellen, und dies 
ließ sich nur nachweisen durch genaue Prüfung einer sehr alten Sprache, 
welche den Charakter der verlorenen Ursprache ziemlich rein bewahrt hatte, 
also zur Not statt der Ursprache selbst gelten konnte. 
Bopp beschloß daher von dem Sanskrit auszugehen; denn das 
hohe Alter der indischen Literatur stand außer Zweifel, und seit Friedrich
	        
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