230 III. 4. Der Ausgang des preußischen Verfassungskampfes.
So zäh hielt der greise Staatsmann bei seinem Plane aus. Doch
leider fehlte seiner Denkschrift gerade das Eine, was ihr vielleicht Nach-
druck geben konnte: die bestimmte Erklärung, daß er mit seinem Ver-
fassungswerke stehen oder fallen wolle. Indem er eine Verfassungs-
commission vorschlug, welche nicht unter seinem Vorsitze tagen sollte, ver-
zichtete er selber auf die unbestreitbaren Rechte seines Staatskanzleramts.
So gab er den Gegnern gewonnenes Spiel. Die Commission säumte
nicht, diese Schwäche zu benutzen. Sie hielt ihre Ansicht aufrecht und
beschloß, der Krone die Entscheidung anheimzustellen; fiel der Entschluß
des Königs gegen den Staatskanzler, so blieb diesem nur noch Unter-
werfung oder Rücktritt offen. Man fühlte lebhaft den Ernst des entschei-
denden Augenblicks. In drei eigenhändigen Entwürfen stellten Wittgen-
stein, Ancillon, Schuckmann die Streitpunkte für den Monarchen zusammen;
Wittgenstein faßte den Gegensatz dahin auf, daß die Commission nur
die zeitgemäße Wiederherstellung der älteren Verfassung in den verschie-
denen Provinzen wolle, während der Staatskanzler zugleich eine neue,
eine reichsständische Verfassung und mithin die „Begründung einer con-
stitutionellen Monarchie“ beabsichtige.
Im Sinne dieser Entwürfe wurde nunmehr eine Uebersicht der Streit-
punkte für den König ausgearbeitet und zugleich (28. Mai) ein Bericht
eingereicht, der rundweg aussprach: „Eine Verfassungsurkunde würde immer
nur nach dem Vorbilde der bairischen, württembergischen, badischen beur-
theilt werden. Zufriedenheit würde sie nicht befördern, weil sie den For-
derungen der Schreier unmöglich genügen könnte. Eine solche Verfassungs-
urkunde würde den Schein herbeiführen, als solle der preußische Staat
nach veränderten Fundamental-Grundsätzen neu constituirt werden.“ Die
Commission sagte voraus, daß die Verfassung in Preußen wie in allen
andern Staaten sofort den lebhaftesten Kampf über die Deutung der ver-
liehenen Rechte hervorrufen müsse, und verstieg sich endlich zu dem kühnen
Satze: „Es bleibt da, wo eine Verfassungsurkunde verliehen werden soll,
nur die offene Wahl, entweder das reine monarchische Princip festzuhalten
und daher sich auf berathende Landstände zu beschränken, oder ihm das
demokratische Princip wirklich beizufügen. Auf letzteres trägt der Staats-
kanzler so wenig als wir an, und es kann kein treuer und verständiger
Beamter und Unterthan darauf antragen. Dann bedarf es aber auch
keiner Verfassungsurkunde."“ Und wie viel leichter — so fuhr die Com-
mission fort — ließen sich die Formen und die Rechte eines späterhin etwa
nöthigen allgemeinen Landtags dereinst feststellen, wenn die Provinzialstände
bereits ins Leben getreten seien!
Der Bericht stammte aus Schuckmann's Feder; er trug in Allem
*) Wittgenstein, Hauptpunkte, in welchen von einander abweichen die Vorschläge
der Commission und des Staatskanzlers, s. Beilage 11.