Die Entscheidung. 231
das Gepräge parteiischer Uebertreibung und enthielt sogar, wenngleich in
vorsichtiger Verhüllung, gehässige Verdächtigungen gegen den Staatskanzler,
der ja nie etwas Anderes als berathende Land= und Reichsstände verlangt
hatte.) Der Kronprinz aber unterzeichnete unbedenklich; die starken Aus-
fälle wider die papierenen Verfassungsurkunden behagten seiner roman-
tischen Staatsanschauung. Auf die Stimmung des Königs waren die Vor-
schläge der Commission auch sehr geschickt berechnet. Wie Friedrich Wilhelm
jetzt gesinnt war — voll Unmuths über die Revolutionen in Südeuropa,
mißtrauisch gegen die süddeutschen Kammerredner, und doch zu gewissen-
haft um sein altes Versprechen förmlich zurückzunehmen —, so mußte er
es fast als eine Erlösung betrachten, wenn ihm nun gerathen wurde, einen
Theil seiner Zusagen sofort zu erfüllen und doch das gefährliche Wagniß
der Reichsstände vorläufig zu vertagen. Die beiden Parteien der modernen
Staatseinheit und des altständischen Particularismus traten endlich mit
geöffneten Helmen vor den Thron. Der König entschied im Sinne des
Thronfolgers. Er genehmigte die Anträge der Commission und befahl
eine abermalige Berathung, die sich ausschließlich mit der Einrichtung der
Provinzialstände beschäftigen sollte. Eine Cabinetsordre vom 11. Juni
1821 gab dem Staatskanzler zu wissen: „das Weitere wegen Zusammen-
berufung der allgemeinen Landstände bleibt der Zeit, der Erfahrung, der
Entwicklung der Sache und Meiner landesväterlichen Fürsorge anheim-
gestellt.“““) So ist der Plan der preußischen Reichsverfassung erst im
siebenten Jahre nach der gegebenen Zusage, und auch dann nur vorläufig,
beseitigt worden.
Der Würfel war gefallen, die Altständischen triumphirten. Nur
Hardenberg wollte die Entscheidung nicht als unwiderruflich ansehen. Er
richtete noch einmal (4. Juli) eine Gegenvorstellung an den König und
empfing erst nach Monaten die beiläufige Antwort, daß diese Denkschrift
dem neuen Verfassungsausschusse zur Benutzung übergeben worden sei.
Inzwischen tröstete er sich mit der leichtsinnigen Hoffnung, die Opposition
durch Stillschweigen zu entkräften, und blieb sogar mit seinem gefährlichsten
Gegner Wittgenstein in dem alten freundschaftlichen Verkehre.) Die
Künste des diplomatischen Zauderns, die ihm einst gegen Napoleon so
förderlich gewesen, sollten ihm auch wider die einheimischen Gegner helfen.
Die Berufung der Reichsstände war ja nur verschoben, nicht abgelehnt,
und vielleicht kam noch der Tag, da sie möglich wurde. Wer den König
kannte, mußte freilich vorhersehen, daß dieser Tag nicht so bald, und
sicherlich nicht mehr bei Lebzeiten des greisen Kanzlers erscheinen konnte.
Niemand wußte dies besser als General Witzleben, der unerschütterlich zu
*) Commissionsbericht, 28. Mai 1821.
*“) Cabinetsordre an Hardenberg, 11. Juni 1821.
*?) Cabinetsordre an Hardenberg, 5. Nov.; Hardenberg's Tagebuch, 20. Juli 1821.