Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Altständische Hoffnungen. 233 
seinen Staatsrechtlichen Abhandlungen vor. Marwitz empfahl eine radi- 
cale Verwaltungsreform, welche die Macht der heimathlosen Bureaukraten 
und Geldoligarchen, dieser gefährlichsten Demagogen, brechen und die neue 
demagogische Erfindung der Reichsstände für immer beseitigen sollte. Ein 
Staatsrath, gebildet aus den Chefs der Verwaltung und angesehenen Ein- 
gesessenen, an der Spitze des Staates; unter ihm Provinzialminister mit 
Provinzialständen; endlich Landräthe, beschränkt durch die Kreisstände und 
auf drei bis sechs Jahre von ihnen gewählt — so die Grundzüge dieser 
feudalen Verwaltungsordnung, die geradeswegs darauf ausging den ge- 
einten deutschen Norden wieder in ein Chaos ständischer Kleinstaaten zu 
zersprengen. 
Wie hätte der bewährte Schmalz in diesem tobenden Chore der Re- 
aktion fehlen sollen! Er schrieb (1822) unter dem Namen eines Freundes 
der Verfassung (E. F. d. V.) eine „Ansicht der ständischen Verfassung der 
preußischen Monarchie". Die Schrift ging aus von dem zufälligen Um- 
stande, daß der preußische Staat seinen Gesammtnamen einem einzelnen 
Landestheile entlehnt hatte, und stützte darauf den wunderbaren Schluß: 
der Schlesier oder Märker sei kein Preuße im eigentlichen — das will 
sagen: im ethnographischen — Sinne, während der Gascogner, der Be- 
wohner von Norkshire sich mit Recht einen Franzosen, einen Engländer, 
nenne, und folglich sei Preußen auch staatsrechtlich kein Einheitsstaat wie 
England oder Frankreich, sondern ein zusammengesetzter Staat, ähnlich 
der Union von Nordamerika. Das Ganze klang wie ein schlechter Witz, 
indeß mochte Schmalz's harter Kopf wohl selber daran glauben, wenn er 
dann allen Ernstes weiter folgerte, der König sei König nur in Ostpreußen, 
in Magdeburg nur Herzog, in Mörs nur Graf und mithin verpflichtet, 
jedem dieser Staaten einen besonderen Landtag zu gewähren. 
Also stellten die Altständischen mit ihren „heillosen“ Doktrinen, wie 
Witzleben sie nannte, Alles wieder in Frage, was die Hohenzollern in 
zwei schweren Jahrhunderten gebaut hatten, und behaupteten gleichwohl den 
Thron gegen die Revolution zu vertheidigen. Und seltsam genug, diesen 
staatsfeindlichen Bestrebungen arbeitete eine Partei des hohen Beamten- 
thums, die von durchaus anderen Ansichten ausging, arglos in die Hände. 
Die neue Verwaltungsordnung hatte sich trotz ihrer tüchtigen Leistungen 
noch keineswegs ein unerschütterliches Ansehen errungen. Alle Welt klagte 
über Vielregiererei; das unerfahrene Volk vermochte nicht zu begreifen, 
daß der Staat, der jetzt so viel mehr für das gemeine Wohl leistete, auch 
mehr Diener brauchte. Am Rhein glaubte Jedermann, freilich auf Grund 
sehr zweifelhafter Berechnungen, die Verwaltung der napoleonischen Prä- 
fekten sei zwei= bis dreimal wohlfeiler gewesen. Der König selbst forderte 
dringend Ersparnisse in der Civilverwaltung, um das Deficit endlich zu 
beseitigen. Die Provinzialbehörden aber, zumal die Oberpräsidenten 
empfanden schwer die ungeheure Macht der neuen Fachminister, die jetzt auch
	        
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