Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

256 III. 5. Die Großmächte und die Trias. 
meidlich, und schwer besorgt schrieb Ancillon nach Wien, jetzt sei der 
Czar entschlossen zum Vernichtungskampfe wider die Ungläubigen.“) Aber 
auch diesmal blieb Alexander's Schwert in der Scheide. Vergeblich suchte 
Kapodistrias den Kaiser für die Ideale früherer Tage zu erwärmen; ver— 
geblich warnte ihn Czartoryski vor jenen fremden Monarchen, die ihn 
jetzt hinabzögen zu ihrer Niedrigkeit, während sonst sein Gestirn hoch über 
ihnen geschwebt hätte; umsonst eilte Frau v. Krüdener nach Petersburg, 
um den Kreuzzug wider den Islam zu predigen. Der Czar wollte die 
alte Freundin nicht mehr sehen. Sein Argwohn gegen die weltumspan— 
nenden Pläne der Revolutionspartei ward immer von Neuem genährt 
durch die Briefe seines Bruders Constantin aus Warschau, die ihm von 
dem geheimen Treiben der polnischen Unzufriedenen erzählten, und willig 
glaubte er der in unzähligen Denkschriften wiederholten Weissagung Met— 
ternich's: der erste russische Soldat, der den Pruth überschreite, werde 
das Signal geben zu einer ungeheuren Feuersbrunst in Polen, Deutsch— 
land, Italien, Frankreich. Er wendete jetzt seine christliche Legitimitäts— 
doktrin auch auf den Sultan an, den er einst selbst von dem Heiligen 
Bunde ausgeschlossen hatte, und auf die rechtlosen Rajahvölker, die, durch 
kein Band der Treue mit ihren muhamedanischen Gewalthabern verbun- 
den, ihr verwirktes Leben sich alljährlich durch die Zahlung des Haradsch 
neu erkaufen mußten. Er ward auch nicht anderen Sinnes, als die 
Nationalversammlung von Epidaurus im Januar 1822 die Lossagung 
der Hellenen vom osmanischen Joche feierlich aussprach und der Wahr- 
heit gemäß verkündete, sie habe nichts gemein mit der Sache der Dema- 
gogen, sondern kämpfe für die nationale Unabhängigkeit. 
Unzweifelhaft ward Alexander's friedfertige Haltung nicht bloß durch 
den Abscheu vor der Revolution bestimmt, sondern auch durch die poli- 
tische Berechnung, welche den deutschen Höfen für jetzt noch ganz ver- 
borgen blieb. Die Türken selber rechneten ihre nordischen Nachbarn nie- 
mals zu den Franken; als eine halbasiatische Macht war Rußland über 
die verwickelten Machtverhältnisse des Orients immer genauer unterrichtet 
als irgend ein europäischer Hof. Unmöglich konnte den argwöhnischen 
Blicken des Czaren entgehen, daß ein selbständiger griechischer Staat die 
moskowitischen Zukunftspläne eher durchkreuzen als fördern, daß dies er- 
starkende Hellenenthum dereinst vielleicht gar selber die Hand nach der 
Kaiserkrone von Byzanz ausstrecken würde. Genug, nach manchem Schwanken 
kehrte Alexander immer wieder zu dem Entschlusse zurück, die hellenische 
Revolution sich selber — das hieß bei ihm: dem verdienten Untergange — 
zu überlassen. Was irgend an den Liberalismus gemahnte war ihm ver- 
dächtig. Im Herbst 1821 fiel sogar sein langjähriger Vertrauter Fürst 
Galitzin in Ungnade; der wohlmeinende herrnhutische Schwärmer hatte 
  
*) Ancillon an Krusemark, 27. Juli 1821.
	        
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