Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Verhandlungen über Spanien. 273 
darum müsse die Verfassung von 1812 nicht bloß abgeändert, sondern auf— 
gehoben, der König befreit und in den Stand gesetzt werden, dem Lande 
neue Institutionen zu geben; denn ein Rückfall in das „unbeschreibliche“ 
System der letzten Jahre sei allerdings zu vermeiden. Aber auf diesen 
drohenden Anfang folgte ein mattes Ende. Metternich hoffte durch die 
gleichzeitige Abberufung aller Gesandten der Großmächte das gemeinsame 
Ziel vielleicht zu erreichen: kriegerische Drohungen gegen Spanien könnten 
leicht die Ruhe in Frankreich selbst gefährden, doch andererseits dürfe die 
Allianz dem Pariser Hofe ihre Unterstützung auch nicht versagen. Die Denk— 
schrift schloß mit dem frommen Wunsche, daß man sich in guter Eintracht 
verständigen möge.“) Mit so unbestimmten Worten war dem kriegerischen 
Ungestüm des Czaren nicht gedient. Er verlangte nach Thaten, und seinem 
Zureden war es wohl zunächst zu verdanken, daß der gutmüthige beschränkte 
Montmorency, der als eifriger Ultra selbst den Krieg wünschte, sich zu 
einem eigenmächtigen unbedachten Schritte entschloß. Der Franzose hatte 
gemessene Weisung, sich vorsichtig zurückzuhalten; gleichwohl legte er am 
20. Okt., in der ersten förmlichen Sitzung, den Verbündeten die drei Fragen 
vor: ob sie ihre Gesandten aus Madrid abberufen wollten, falls Frank- 
reich den diplomatischen Verkehr abbräche? ob sie ferner bereit seien beim 
Ausbruch des Krieges dem Tuilerienhofe ihre moralische Unterstützung zu 
leihen? und endlich auch im Nothbfalle thätliche Hilfe? 
So ward denn ein Krieg in Aussicht gestellt, für den es schlechterdings 
nur den einen Vorwand gab, daß Frankreichs Ruhe durch die spanische 
Revolution bedroht sein sollte. In Wahrheit hatte die Madrider Regierung 
mit dem Bürgerkriege daheim vollauf zu schaffen und, bis auf einen Aus- 
tausch unfreundlicher Noten, bisher noch keinen feindseligen Schritt gegen 
die Verbündeten unternommen. Nicht Frankreich, sondern Spanien durfte 
sich über Bedrohung beklagen, da das französische Pyrenäenheer fortfuhr, 
die Gesetze der Neutralität zu verletzen. Nach langen und peinlichen 
vertrauten Berathungen übergaben die vier Mächte am 30. Okt. ihre 
Erwiderungen auf Frankreichs Fragen. Die russische Antwort lautete 
durchweg kriegerisch. „Seit dem Monat April 1820“, so hob sie an, „hat 
Rußland auf die Folgen des Triumphes der Revolution in Spanien hin- 
gewiesen.“ Alle diese Vorhersagungen hätten sich erfüllt. Frankreich 
werde heute durch den spanischen Aufruhr ganz ebenso gefährdet wie jüngst 
Oesterreich durch die Revolution in Italien; und mit wahrer Genug- 
thuung erfahre der Kaiser, daß die französische Regierung jetzt diese 
Anschauung theile. Möge sie also Europa den großen Dienst leisten 
die Feuersbrunst der Revolution zu ersticken; Rußland verspreche ihr in 
allen den drei angegebenen Fällen seine aufrichtigste Unterstützung. Wie 
— — — — — — — — — 
*) Metternich, Mémoire confidentiel über Spanien und Portugal (am 18.0kt. 1822 
an Bernstorff übergeben). 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 18
	        
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