Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Wangenheim und die hessischen Domänenkäufer. 297 
sich nicht noch einmal mit diesem Casseler Despoten einlassen, der auf alle 
Mahnungen des Bundes mit Beschimpfungen antwortete und dabei noch 
der Gunst Metternich's sicher war.) In Berlin war man längst zu der 
Einsicht gekommen, daß der Bund dem hessischen Willkürregimente nicht 
steuern könne; Preußen hatte daher mit schwerer Mühe bei den Höfen 
von Hannover, Braunschweig, Cassel endlich (1821) durchgesetzt, daß die 
vier Erben des Königreichs Westphalen zu Berathungen zusammentraten, 
um sich über gemeinsame Rechtsgrundsätze zu verständigen. Graf Goltz 
wünschte also, der Bundestag möge, statt nochmals einen unausführbaren 
Beschluß zu fassen, zunächst das Ergebniß dieser Verhandlungen abwarten. 
Hannover dagegen, Oldenburg, Kurhessen sowie mehrere andere kleine 
Kronen fanden das legitime Recht und das monarchische Princip in ihren 
Grundvesten bedroht, wenn man irgend eine Regierungshandlung des 
Usurpators Jerome als rechtsverbindlich anerkenne. Daß der kurhessische 
und die beiden welfischen Staaten in den Jahren 1807— 13 unzweifel- 
haft nicht mehr bestanden hatten und mithin eine völkerrechtlich giltige 
debellatio vorlag, übergingen sie mit Stillschweigen; auch daran erinnerten 
sie sich nicht, daß in ihren eigenen Landen mediatisirte Fürsten saßen, 
welche die neue thatsächliche Staatsgewalt noch keineswegs sämmtlich als 
legitim anerkannt hatten. Unverkennbar sprach aus diesem legitimistischen 
Eifer die geheime Angst; die Souveräne fühlten sich ihrer Kronen nicht 
ganz sicher, sie dachten an den langmüthigen preußischen Nachbar und an 
die Möglichkeit einer neuen Entthronung. Welch ein Aufsehen also, als 
Wangenheim in einem gründlichen Berichte zeigte, der hessische Kurfürst 
sei offenbar der Rechtsverweigerung schuldig und müsse von Bundeswegen 
angehalten werden der Justiz freien Lauf zu lassen. Dann erwies er, in 
der Form allerdings nicht glücklich, den unanfechtbaren Satz, daß in jedem 
Staate irgend eine Regierung bestehen müsse: „der ewige Staat spricht 
durch jeden Regenten; die Staatsgewalt berechtigt das regierende Subjekt 
nur dazu, wozu sie dasselbe verpflichtet.“ Wiederholt berief er sich dabei 
auf den verdienten kurhessischen Richter Pfeiffer und auf Ludwig Klüber's 
Oeffentliches Recht. 
Eben diese Berufung verschlimmerte nur den Eindruck der ehrlichen 
Worte Wangenheim's. Vor Kurzem noch hatte der Herausgeber der 
Akten des Wiener Congresses bei den Cabinetten selbst unbestritten für 
den ersten deutschen Staatsgelehrten gegolten; jetzt heftete sich der Arg- 
wohn, der überall umherschlich, auch an Klüber's reinen Namen. Als die 
zweite Auflage seines Oeffentlichen Rechts erschien und gleich darauf sein 
alter treuer Gönner Hardenberg starb, verklagte ihn der Nassauer Mar- 
schall in Berlin wegen demagogischer Gesinnung. Trotz seiner unge- 
heuren Gelehrsamkeit war Klüber kein schöpferischer wissenschaftlicher Kopf; 
  
*) S. oben II. 150 ff.
	        
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