Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Königliche Selbstregierung. 363 
Staat, der die beste Verwaltung Europas besaß und die Einheit des 
deutschen Marktes begründete, betrieb zugleich das verächtliche Handwerk 
der Demagogenverfolgung. Und doch bewahrte diese persönliche Regierung 
mit allen ihren augenfälligen Schwächen den preußischen Staat vor einer 
gefährlichen Reaktion, die unter einem Ministerium Voß-Buch schwerlich 
ausgeblieben wäre. Jetzt zeigte sich erst, wie weit die Gesetzgebung der 
jüngsten Jahre der politischen Bildung des Volks vorausgeeilt war; ein 
starker Rückschlag begann, sehr ähnlich jener Bewegung, welche das Deutsche 
Reich um das Jahr 1878 erschütterte. Nicht bloß der feudale Adel, auch 
weite Kreise des Bürger= und Bauernstandes fühlten sich verletzt in ihren 
Interessen, Gewohnheiten, Vorurtheilen und klagten laut über die Frei- 
zügigkeit, die Agrargesetze, die Gewerbefreiheit. Friedrich Wilhelm aber 
ward an den Grundgedanken seiner socialen Reformen nicht irr, und 
obwohl er rasch alternd sich nur noch sehr schwer zu Neuerungen entschloß, 
so verstand er doch nach seiner stillen Weise, als König über den Parteien 
zu stehen. Um die Heißsporne der Reaktion zu „calmiren“, gewährte er 
ihnen wohl einzelne Zugeständnisse, zumal in Personenfragen, doch über 
den Kopf durften sie ihm nicht wachsen, und ihr letztes Ziel, die Auf- 
hebung der Hardenbergischen Gesetze, erreichten sie niemals. 
Einmal, im Sommer 1825, wähnten die unbedingten Anhänger 
Oesterreichs schon einen entscheidenden Sieg errungen zu haben, als ihr 
Führer Herzog Karl von Mecklenburg mit dem Vorsitze im Staatsrath 
betraut wurde, einem Amte, das bisher nur Staatsminister bekleidet hatten. 
Im Schlosse Monbijon, das der Herzog bewohnte, führten Kamptz und 
General Müffling das große Wort; die Haller'sche Heilslehre wurde dort 
noch weit nachdrücklicher gepredigt als in dem Palaste auf der Wilhelms- 
straße, wo der Kronprinz seine romantischen Freunde um sich versammelte. 
Der König indeß, der von der staatsmännischen Begabung seines tapferen 
Schwagers offenbar nicht hoch dachte, hielt ihn sehr kurz; er erlaubte ihm 
nur, an den Sitzungen des Staatsministeriums schweigend theilzunehmen, 
damit er sich unterrichten und nöthigenfalls die Ueberweisung eines Gesetz- 
entwurfes an den Staatsrath beantragen könne. Sitz und Stimme im 
Ministerrathe wollte er ihm schlechterdings nicht gewähren, obgleich der 
Herzog flehentlich darum bat und sein Begehren durch wiederholte 
Abschiedsgesuche durchzusetzen versuchte. Also beschränkt blieb das Amt des 
Prinzen nicht vicl mehr als ein Ehrenposten.) 
Diese Politik der Vermittlung, die alle Parteien still unter der Glocke 
hielt und in der Gesetzgebung nur Schritt für Schritt behutsam vorging, 
ergab sich nicht bloß aus dem Charakter Friedrich Wilhelm's, sondern auch 
  
*) Herzog Karl an den König, 26. Aug. 1825, 9. Juni 1826, 29. Juli 1827; an 
Altenstein, 19. Mai 1826; an Lottum, 30. Juli, 30. Okt. 1827; Cabinetsordres an Herzog 
Karl, 31. Aug. 1825, 28. Juni 1826; an das Staatsministerium, 9. Dec. 1827.
	        
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