Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Charakter der Provinziallandtage. 367 
sichten, welche die Landtagsmarschälle zum Schluß veröffentlichten, gaben 
nur ein unvollständiges Bild; über den Gang der Verhandlungen sollte 
jeder Abgeordnete strenges Stillschweigen beobachten. Sogar das harm— 
lose, einem Gesammtlandtage unentbehrliche Recht, Petitionen entgegen— 
zunehmen und zu besprechen, war diesen Provinzialtagen versagt, offen— 
bar weil man fürchtete, ein Adressensturm in Posen oder am Rhein könne 
leicht staatsfeindlichen Zwecken dienen. Also blieb das Volk fast ohne 
Kunde von der Wirksamkeit seiner Vertreter. Die ständischen Verhand— 
lungen erzogen zwar einen kleinen Stamm politisch erfahrener Männer, 
aber auf weitere Kreise wirkten sie kaum ein, und noch lange bestand in 
Preußen nur eine einzige Partei mit bestimmten Zielen: die feudale. — 
Am erfreulichsten verliefen die Berathungen in Preußen und West— 
phalen. Dort im Osten erwachten wieder die stolzen Erinnerungen an 
den Königsberger Landtag und an das reichbewegte ständische Leben der 
Ordenszeit. Ein frischer Hauch jugendlicher Hoffnung und provinzialen 
Selbstgefühles durchwehte die Reden; man sprach gern, wie Schön, von 
„dem Königreich Preußen und Sr. Majestät übrigen Staaten“. Die 
Stände freuten sich der wiedergewonnenen altpreußischen Freiheit und hätten 
am liebsten ihren Sitz im Remter der Marienburg, dem Heiligthum des 
Landes aufgeschlagen, statt abwechselnd in Danzig oder Königsberg zu 
tagen. Die patriotische Gesinnung des Adels und der Allen gemeinsame 
starke Provinzialstolz ließen den Sondergeist der Klassen nicht aufkommen. 
Als ein Vertreter der Städte einmal mit der itio in partes drohte, da 
stürzte Alles entrüstet über ihn her, und die Stände erklärten dem Könige: 
von dem Rechte in Theile zu gehen würde der Landtag des Königreichs 
Preußen wohl niemals Gebrauch machen, da die Preußen verständen sich 
über das Interesse einzelner Stände und Landestheile zu erheben. Gleich 
in seiner ersten Tagung beantragte der Landtag — leider ohne Erfolg — 
den Druck der gesammten Verhandlungen, damit die Nation ihre Stände 
kennen lerne. Auch Schön, der königliche Commissar, setzte seine Ehre 
darein, den Landtag seiner Provinz zum Muster für die gesammte Mon— 
archie zu erheben. Tagten die Stände in Danzig, so bezog der Ober— 
präsident ein Landhaus in den Pelonken und fuhr täglich in die Stadt 
hinüber, um durch persönliche Zwiesprache, bald mahnend, bald drohend, 
die Unzufriedenen bei der Stange zu halten. Die entlegene Provinz stand 
zusammen gleich einer großen Familie. Im Ständesaale wurde Graf 
Alexander Dohna, der erste Landwehrmann von 1813, wie ein Patriarch 
verehrt; das ganze Land trauerte mit ihm als während des Landtags 
von 1827 die Nachricht von dem Tode seiner Schwägerin Julie Dohna, 
der Tochter Scharnhorst's, einlief; mit Thränen in den Augen umdrängten 
ihn die tapferen Preußen, da er nach seiner Gewohnheit noch eine Ab- 
schiedsrede hielt und mit den Worten Paul Gerhard's schloß: Gott gebe 
uns Allen ein fröhliches Herz!
	        
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