30 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
ließ: „Man kann daher die Sache nur darauf zurückführen, daß einzelne
Staaten, welche durch den jetzigen Zustand sich beschwert glauben, mit den-
jenigen Bundesgliedern, woher nach ihrer Meinung die Beschwerde kommt,
sich zu vereinigen suchen, und daß so übereinstimmende Anordnungen von
Grenze zu Grenze weiter geleitet werden, welche den Zweck haben, die
inneren Scheidewände mehr und mehr fallen zu lassen.““") So war das
handelspolitische Programm der preußischen Regierung nochmals klar und
unzweidentig ausgesprochen. Indem sie an ihrem Zollgesetze festhielt, er-
klärte sie sich bereit, anderen Bundesstaaten durch freie Verträge den Zoll-
anschluß oder Handelserleichterungen zu gewähren; aber sie sah auch ein —
und hierin lag ihre Ueberlegenheit —, daß alle Klagen wider die Binnen-
manthen müßige Reden blieben, so lange die deutschen Staaten sich über
ein gemeinsames Zollgesetz nicht einigen konnten.
Auf lebhaften Widerspruch war Bernstorff von vornherein gefaßt;
er wußte wohl, wie unfaßbar diese nüchternen handelspolitischen Gedanken,
die heute Jedem geläufig sind, der großen Mehrzahl der deutschen Höfe
noch erschienen. Der leidenschaftliche Ausbruch „gehässiger Vorurtheile",
den er in Wien erleben mußte, übertraf doch seine schlimmsten Erwar-
tungen. Die naive volkswirthschaftliche Unwissenheit der Epoche feierte
auf den Conferenzen ihre Saturnalien; fast die gesammte deutsche Diplo-
matie lief Sturm wider das preußische Zollgesetz. Sobald auf die Fragen
des Handels die Rede kam, verschob sich die Stellung der Parteien voll-
ständig. Der preußische Bevollmächtigte, der fast in allen andern Fragen
die Mehrheit der Versammlung nach sich zog, stand in den handelspoliti-
schen Berathungen ebenso vereinsamt wie in den militärischen, er erschien
wie der Störenfried der deutschen Einigkeit. Dieselben Höfe, die überall
sonst den Wirkungskreis des Bundes ängstlich zu beschränken suchten,
hofften durch einen rechtswidrigen Bundesbeschluß jene segensreiche Re-
form, welche dem preußischen Deutschland den freien Verkehr geschenkt
hatte, wieder umzustoßen. Von Mund zu Munde ging die sophistische
Behauptung, das preußische Gesetz verstoße wider den Art. 19 der Bundes-
akte, der nichts weiter enthielt, als die Zusage, daß der Bundestag wegen
des Handels und Verkehrs „in Berathung treten“ solle.
Preußens böser Genius, so ließen sich selbst Wohlmeinende vernehmen,
hat dies unglückliche Gesetz geschaffen, das ihm überall Zutrauen und Zu-
*) Als K. L. Aegidi sich im Jahre 1865 das Verdienst erwarb, diese Stelle aus
Bernstorff's Instruktionen (in seiner Schrift „Aus der Vorzeit des Zollvereins") zuerst
zu veröffentlichen, da war die wirkliche Geschichte des Zollvereins durch Parteimärchen
bereits gänzlich verdunkelt, und die Mittheilung wurde allgemein als eine überraschende
Enthüllung angesehen. Und doch enthielt die Instruktion durchaus kein Geheimniß, son-
dern lediglich die nämlichen Worte, welche, als amtliche Antwort Hardenberg's an F. List
und Gen., bereits im Jahre 1819 in den meisten deutschen Zeitungen gestanden hatten.
Vergl. o. II. 622.