406 III. 6. Preußische Zustände nach Hardenberg's Tod.
kirche hingegen, die alle Gegensätze des deutschen Protestantismus in sich
umschloß, konnte auf die Dauer ohne ein selbständiges Organ ihres Ge—
sammtwillens nicht bestehen. Ihr Schicksal lag indeß noch immer in der
Hand des Königs und seines Cultusministers, und je schärfer die kirch—
lichen Parteien auf einander stießen, um so unerträglicher ward diese bureau—
kratische Ordnung. —
Etwas friedlicher, dem äußeren Anschein nach, gestaltete sich in diesen
Jahren die Lage der katholischen Kirche, zumal seit Graf Ferdinand August
v. Spiegel (1825) den wiederhergestellten erzbischöflichen Stuhl in Köln
bestiegen hatte, ein Prälat aus der aristokratischen alten Schule, der in—
mitten der Wirren des napoleonischen Zeitalters immer mit jeder Regierung
gut ausgekommen war. Als Domherr hatte er vor Jahren in Münster
für die Unabhängigkeit seines Hochstifts gegen die preußischen Eroberer
gestritten, aber sogleich nach der Einverleibung seinen Frieden mit Preußen
geschlossen, um sich bald nachher ebenso gewandt unter das Scepter Napo-
leon's zu schmiegen, aus dessen Händen er sogar die bischöfliche Würde
entgegennahm. Im Jahre 1813 gewann sein Name unter den Patrioten.
einen bösen Klang, weil er in einem überschwänglichen Hirtenbriefe seine
Gläubigen aufforderte, Gott zu danken für die gewonnene Schlacht von
Dresden und also zu bekunden „die willkommensten Triebe, welche jeder
Unterthan des großen Kaisers im Innersten seines Herzens empfindet".
Alle diese Wandlungen wurden ihm vergeben, als er sich zur Zeit des
Wiener Congresses abermals, und jetzt für immer, an Preußen anschloß.
Selbst Stein, der die Verirrungen der napoleonischen Tage so schwer
vergaß, widmete ihm aufrichtige Freundschaft, weil der weltkundige Prälat
die neue Ordnung der Dinge ohne jeden Hintergedanken anerkannte und
bald zu der Einsicht kam, nur Preußen könne „das allem Wissenschaft-
lichen und Geistlichen abholde Franzosenthum“ vom Rheine hinwegfegen.
Ein gelehrter Theolog, vielseitig gebildet, in seiner Haltung vornehm
und gemessen, kannte Spiegel auch den Staatsdienst aus eigener Er-
fahrung, da er einst unter Fürstenberg's sorgsamem Regimente in der
Verwaltung des Münsterlandes thätig gewesen war. Obwohl er die
nationalkirchlichen Gedanken Wessenberg's, denen er früher angehangen,
bald als unausführbar fallen ließ, so hielt er doch die Grundanschauungen
des alten Episcopalsystems fest: er wollte mächtige, hochangesehene Landes-
bischöfe, die in treuem Einvernehmen mit der Krone jedem willkürlichen
Uebergriffe der römischen Curie entgegentreten, aber auch der weltlichen
Gewalt nicht gestatten sollten, die Kirche lediglich als Staatsanstalt zu
behandeln, und empfand es in seinem bischöflichen Selbstgefühle sehr
schmerzlich, daß die preußischen Prälaten auf den Provinziallandtagen gar
nicht, im Staatsrathe nur durch ihn selber vertreten waren. In
seinem Palaste bei St. Gereon richtete er sich einen stattlichen geistlichen
Hofhalt ein mit einer reichen Bibliothek und wohlversorgtem Keller;