36 III. 1. Die Wiener Conferenzen.
Bedarf auf dem nächsten Wege zu beziehen. Dazwischen hinein fuhr
der Köthener Herzog, dessen anmaßendes Benehmen Bernstorff nicht grell
genug schildern konnte, mit wiederholten geharnischten Verwahrungen.)
Er klagte, man lasse ihn alle Lasten des preußischen Zollwesens tragen,
nicht die Vortheile, während es doch lediglich an ihm lag, auf Preußens
Anerbietungen einzugehen und auch der Vortheile theilhaftig zu werden. Er
drohte die auswärtigen Garanten der Bundesakte anzurufen zum Schutze
der „über allem Angriff erhabenen Sache“ des uralten Hauses Anhalt.
Schließlich verweigerte er geradezu der Schlußakte seine Unterschrift, wenn
ihm der Bund nicht die „freie Communication mit Europa“ sicherstelle: „so
lange die Herzöge von Anhalt sich in einer drückenden unfreiwilligen Zins-
barkeit gegen einen mächtigen Nachbarstaat befinden, kann für dieses alte
Fürstenhaus keine Bundesakte und also auch keine Schlußakte existiren."
Inmitten dieses Gezänks bewahrte Graf Bernstorff vornehme Ruhe
und aufrichtigen Freimuth. Er beklagte laut, daß die Bundesakte durch
ihre allgemeinen Versprechungen unerfüllbare Erwartungen geweckt habe.
Fest und stolz wies der preußische Minister jede ehrenrührige Zumuthung
zurück: von der Aufhebung des neuen Gesetzes könne gar nicht die Rede
sein. Zugleich wiederholte er unermüdlich in immer neuen Umschreibungen
die in der Staatszeitung veröffentlichten Gedanken. Es sei „unmöglich,
eine solche Einigung anders als durch allmähliche Vorbereitung und die
mühsamste Ausgleichung streitender Interessen bewirkt zu sehen.“ Nur
Verträge zwischen den Einzelstaaten könnten dem wirthschaftlichen Elend
steuern. „Geschieht dieses im Süden wie im Norden von Deutschland,
und werden diese Versuche unter der Mitwirkung und Pflege des Bundes
gemacht, so läßt es sich wohl denken, daß man auf diesem freilich lang-
samen, aber vielleicht einzig möglichen Wege dahin gelangen werde, die
jetzt bestehenden Scheidewände aus dem Wege zu räumen und in Be-
ziehung auf Handel und Verkehr diejenige Einheit der Gesetzgebung und
Verwaltung hervorzubringen, welche ein Verein neben einander bestehender
freier und besonderer Staaten, wie ihn der Deutsche Bund bildet, irgend
zulassen kann.“ Auf die Schmähungen des Kötheners bemerkte er trocken,
daß in Dresden bereits seit mehreren Monaten eine Conferenz der Elb-
uferstaaten tage; dort allein sei der Ort, die Frage der freien Elbschifffahrt
zum Austrage zu bringen.
Wahrlich, ein historischer Augenblick! Der große Kampf zweier Jahr-
hunderte, der alte unversöhnliche Gegensatz österreichischer und preußisch-
deutscher Politik erneuerte sich in diesen unscheinbaren Händeln, noch ohne
daß die Kämpfer den tiefen Sinn des Streites begriffen. Wem sollte
sich hier nicht die Erinnerung aufdrängen an den Frankfurter Fürstentag
von 1863. Dort das Haus Oesterreich mit der dichten Schaar der
Enthusiasten und der Particularisten, jubelnder Beifall der liberalen Welt,
*) Bernstorff's Berichte, 22. April, 7. Mai 1820.