520 III. 7. Altständisches Stillleben in Norddeutschland.
bereits abgelaufen war, da die öffentliche Meinung schon mit schärferen
Blicken das Treiben der Großen verfolgte und fast alle namhaften Fürsten—
häuser Deutschlands sich ernstlich zusammenrafften, um den Spuren König
Friedrich's zu folgen. Seit Landgraf Friedrich II. beginnt im Hause
Philipp's des Großmüthigen, stetig fortschreitend, eine räthselhafte Ent—
artung, in vier Generationen geht der Ruhm fünf reicher Jahrhunderte
schmählich verloren, bis dies weiland ehrenreiche Fürstengeschlecht endlich
seinem treuen Volke selber zum Ekel wird und unbeweint ins Verderben
stürzt. An den Erbfehler ihrer Fürsten, den Jähzorn, waren die Hessen
gewöhnt, auch die Lust an Weibern hatte schon einmal, als Philipp der
Großmüthige seine Doppelehe schloß, viel Elend über das Land gebracht;
aber ganz neu war die herzlose Habsucht, die sich fortan mit unheimlicher
Regelmäßigkeit zu jenen Schwächen gesellte und die Landesherren geradezu
als Feinde ihres Volkes erscheinen ließ.
So lange die Heere aus geworbenen Söldnerschaaren bestanden, haftete
noch kein Makel an dem Kriegsdienst unter fremden Fahnen. Erst seit
den Tagen König Friedrich's begannen die Deutschen zu erkennen, daß die
bewaffnete Macht dem Staate angehöre; die Hessen selbst fochten im sieben-
jährigen Kriege zwar in englischem Solde, aber für Hof und Herd, für
die Sache ihres eigenen Landes. Mittlerweile wurde das preußische Canton-
system in Hessen eingeführt (1762); und als nun mit diesem Heere dienst-
pflichtiger Landeskinder der Soldatenhandel abermals, und schwunghafter
denn zuvor, betrieben wurde, da erschien das altgewohnte Geschäft der
verwandelten Zeit sehr anstößig. Mirabeau, Burke, Friedrich der Große
selbst sprachen in den härtesten Worten ihren Abscheu aus, als Landgraf
Friedrich und sein Sohn Erbprinz Wilhelm von Hanau von ihren 300,000
Unterthanen nach und nach 19,400, fast den dritten Theil der gesammten
waffenfähigen Bevölkerung, an England verkauften, zum Bürgerkriege wider
die Amerikaner, die den Zeitgenossen als Vorkämpfer der Freiheit galten.
Im englischen Parlamente wurden die „Schandthaten dieser kleinen deut-
schen Fürsten“ unbarmherzig ans Licht gezogen. Der alte Landgraf hatte
immerhin noch den äußern Anstand gewahrt und mit Großbritannien ein
förmliches Bündniß geschlossen, das beiden Mächten ihren Besitzstand ver-
bürgte; der Erbprinz aber warf in schmeichlerischen Briefen sich und sein
Heer „seinem großherzigen Beschützer und edlen Wohlthäter“ Georg III.
zu Füßen. Dann wetteiferten Beide in fiscalischen Künsten um den eng-
lischen Soldherrn zu übervortheilen; der Sohn ließ sich seine gefallenen
und verwundeten Landeskinder Kopf für Kopf besonders vergüten, der
Vater fand es einträglicher, die Löhnung seiner Soldaten selber in Em-
pfang zu nehmen, so konnte er die Gefallenen noch eine Weile in den
Präsenzlisten fortführen. Die Amerikaner aber bezeichneten fortan alle
knechtische Niedertracht mit dem guten Hessennamen der unglücklichen Ver-
kauften, von denen mehr als ein Drittel die Heimath niemals wiedersah.