Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Altständische Selbstverwaltung. 589 
Raume zwischen zwei Meeren zusammen. Der schleswigsche Bauer ver— 
glich sein schönes Land einem Schweine mit dürrem Rücken und fetten 
Flanken. In der Mitte die schauerliche Einsamkeit der schwarzen Heide. 
Im Westen die Geest und weiter abwärts hinter dem güldenen Ring ihrer 
Deiche die reichen Marschen; davor zwischen der stillen grauen Wattensee 
und der brandenden Nordsee die mächtigen Dünenreihen der friesischen 
Inseln und die flachen wie auf den Wogen schwimmenden Halligen. Im 
Osten an den tief eingeschnittenen Buchten und Föhrden des blauen bal— 
tischen Meeres königliche Buchenwälder auf welligem Boden, fette Weiden, 
üppige Felder, alle von den lebendigen Hecken der Knicks umschlossen. Dazu 
im östlichen Holstein große adliche Güter, in Schleswig und den Marschen 
fast überall bäuerlicher Besitz. 
In dieser Mannigfaltigkeit der Bodenverhältnisse war ein unabseh— 
bares Gewirr communaler Sonderrechte aufgewuchert, das der schleswig— 
holsteinischen Kanzlei in Kopenhagen selber fast unbekannt blieb. Daß 
dies Land mit seinen 700,000 Menschen jemals eine gemeinsame Kreis— 
ordnung erhalten könnte, hielt Jedermann für unmöglich, und es war 
auch unmöglich, so lange nicht eine starke deutsche Staatsgewalt ordnend 
dazwischenfuhr. Da gab es Landschaften, Aemter und Harden, in den 
eingedeichten Marschbezirken octroyirte Kooge, daneben selbständige Städte, 
adliche Gutsbezirke und vier adliche Klosterbezirke unter ihren Pröbsten 
und Verbittern; hier demokratische, da aristokratische, dort monarchische 
Ordnung; hier Urversammlungen der gesammten Dorfschaften, da erwählte 
Bauerschaftsvollmachten, dort durch den Amtmann ernannte Vorsteher. 
Ditmarschen, die glorreiche Bauernrepublik, die dreihundert Jahre lang 
ihre Freiheit mit Heldenmuth vertheidigt hatte, war auch, als sich die 
Landschaft nach der unglücklichen „letzten Fehde“ dem Dänenkönige unter- 
werfen mußte, noch im Besitze kostbarer Sonderrechte geblieben. Nur 
Landeskinder aus den Marschen durften hier angestellt werden, nur mit 
Zustimmung der erwählten Räthe aus den Kirchspielen konnten die beiden 
Landvögte ihre Verordnungen erlassen. Und welche Verschiedenheit wieder 
innerhalb dieser kleinen Landschaft: in Süderditmarschen, das lange unter 
den Gottorpern gestanden, war Alles verwahrlost, in Norderditmarschen 
hatten die königlichen Landvögte jederzeit gute Ordnung gehalten. Auf 
Sylt besaßen die Landesgevollmächtigten mit ihrem Landvogte ein wenig 
beschränktes Recht der Autonomie, sie verfügten was ihnen gut dünkte 
durch Landesbeliebungen. Auf den adlichen Gütern dagegen übte der 
Bauernvogt die niedere Polizei und verkündete den Hintersassen die Be- 
fehle der Gutsobrigkeit; wohlmeinende Gutsherren errichteten häufig gute 
Schulen und Armenhäuser, ordneten die communalen Beitragspflichten 
durch Contrakte, aber eine Dorfordnung wurde den hintersässigen Bauern 
auch nach der Aupfhebung der Leibeigenschaft nur selten gewährt. 
Die Entwicklung dieses buntscheckigen Communalwesens lag guten-
	        
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