Altständische Selbstverwaltung. 589
Raume zwischen zwei Meeren zusammen. Der schleswigsche Bauer ver—
glich sein schönes Land einem Schweine mit dürrem Rücken und fetten
Flanken. In der Mitte die schauerliche Einsamkeit der schwarzen Heide.
Im Westen die Geest und weiter abwärts hinter dem güldenen Ring ihrer
Deiche die reichen Marschen; davor zwischen der stillen grauen Wattensee
und der brandenden Nordsee die mächtigen Dünenreihen der friesischen
Inseln und die flachen wie auf den Wogen schwimmenden Halligen. Im
Osten an den tief eingeschnittenen Buchten und Föhrden des blauen bal—
tischen Meeres königliche Buchenwälder auf welligem Boden, fette Weiden,
üppige Felder, alle von den lebendigen Hecken der Knicks umschlossen. Dazu
im östlichen Holstein große adliche Güter, in Schleswig und den Marschen
fast überall bäuerlicher Besitz.
In dieser Mannigfaltigkeit der Bodenverhältnisse war ein unabseh—
bares Gewirr communaler Sonderrechte aufgewuchert, das der schleswig—
holsteinischen Kanzlei in Kopenhagen selber fast unbekannt blieb. Daß
dies Land mit seinen 700,000 Menschen jemals eine gemeinsame Kreis—
ordnung erhalten könnte, hielt Jedermann für unmöglich, und es war
auch unmöglich, so lange nicht eine starke deutsche Staatsgewalt ordnend
dazwischenfuhr. Da gab es Landschaften, Aemter und Harden, in den
eingedeichten Marschbezirken octroyirte Kooge, daneben selbständige Städte,
adliche Gutsbezirke und vier adliche Klosterbezirke unter ihren Pröbsten
und Verbittern; hier demokratische, da aristokratische, dort monarchische
Ordnung; hier Urversammlungen der gesammten Dorfschaften, da erwählte
Bauerschaftsvollmachten, dort durch den Amtmann ernannte Vorsteher.
Ditmarschen, die glorreiche Bauernrepublik, die dreihundert Jahre lang
ihre Freiheit mit Heldenmuth vertheidigt hatte, war auch, als sich die
Landschaft nach der unglücklichen „letzten Fehde“ dem Dänenkönige unter-
werfen mußte, noch im Besitze kostbarer Sonderrechte geblieben. Nur
Landeskinder aus den Marschen durften hier angestellt werden, nur mit
Zustimmung der erwählten Räthe aus den Kirchspielen konnten die beiden
Landvögte ihre Verordnungen erlassen. Und welche Verschiedenheit wieder
innerhalb dieser kleinen Landschaft: in Süderditmarschen, das lange unter
den Gottorpern gestanden, war Alles verwahrlost, in Norderditmarschen
hatten die königlichen Landvögte jederzeit gute Ordnung gehalten. Auf
Sylt besaßen die Landesgevollmächtigten mit ihrem Landvogte ein wenig
beschränktes Recht der Autonomie, sie verfügten was ihnen gut dünkte
durch Landesbeliebungen. Auf den adlichen Gütern dagegen übte der
Bauernvogt die niedere Polizei und verkündete den Hintersassen die Be-
fehle der Gutsobrigkeit; wohlmeinende Gutsherren errichteten häufig gute
Schulen und Armenhäuser, ordneten die communalen Beitragspflichten
durch Contrakte, aber eine Dorfordnung wurde den hintersässigen Bauern
auch nach der Aupfhebung der Leibeigenschaft nur selten gewährt.
Die Entwicklung dieses buntscheckigen Communalwesens lag guten-