Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Kurhessen verweigert den Beitritt. 647 
höchstdieselben sind nicht davon überzeugt, daß es dem Interesse des Kur— 
staats entsprechend sei, einer solchen Uebereinkunft das bisherige System 
aufzuopfern.““) Die gröbsten Wendungen hatte der Kurfürst eigenhändig 
in das Schreiben hineingebracht. Bei einer neuen Audienz donnerte er 
Wittgenstein an: „Ich bin Chef des hessischen Hauses; Anmaßungen wie 
der Großherzog sie sich erlaubt hat, werde ich nicht dulden; ich kann die 
Bitte des Großherzogs nicht gewähren.“ Auch Wittgenstein's Sendung 
war gescheitert. 
Eichhorn ahnte, daß die süddeutschen Kronen die Hände im Spiele 
gehabt, empfahl dem Bundestagsgesandten Nagler und allen Gesandten 
im Oberlande scharfe Aufmerksamkeit auf die Handelspolitik der kleinen 
Höfe. Zwei Tendenzen, schrieb er, wirken uns in Cassel entgegen. Der 
bairisch-württembergische Verein sucht Kurhessen für sich zu gewinnen; er 
krankt an verkehrten politischen Nebengedanken und ruht auf dem falschen 
Grundsatze, daß die Binnenstaaten von den Küstenländern sich unabhängig 
machen sollen; „mit jeder Ausdehnung verliert das System selbst an 
innerem Halt und Zusammenhang.“ Gefährlicher scheint der von einigen 
thüringischen Staaten gehegte Plan, unter Kurhessens Führung einen 
hessisch-thüringischen Zollverein zu bilden, der nach Belieben mit Preußen 
oder mit dem Süden verhandeln könne — eine Träumerei „so einladend 
für den Stolz des Kurfürsten, daß er kaum widerstehen wird“".) 
Nach Wittgenstein's Abreise meinten die bairisch-württembergischen 
Unterhändler ihr Spiel gewonnen. Baiern versprach dem Kurfürsten seine 
bisherigen Zolleinnahmen zu verbürgen, wenn er dem süddeutschen Vereine 
beitrete. Der Kurfürst, als ein geriebener Handelsmann, holte sofort eine 
alte Schuldforderung an das fürstliche Haus Oettingen hervor, welche einst 
Napoleon für Baiern eingezogen hatte; auch diese Sache zu bereinigen 
war Baiern erbötig. Schon bereiste Oberkamp mit einem kurhessischen 
Finanzbeamten die bairischen Grenzen, um diesem die Einrichtung der 
Mauthen zu zeigen. Da griff eine gewandtere Hand ein und betrog die 
süddeutschen Höfe um den Sieg. 
Daß Oesterreich die Erweiterung des preußisch-hessischen Vereines un- 
gern sah, war allbekannt. Wenn der österreichische Geschäftsträger in Cassel 
dem Prinzen Wittgenstein zuvorkommend seine Instructionen zeigte, und 
dort zu lesen stand, er solle seinen preußischen Collegen überall getreulich 
unterstützen, so wußte man in Berlin längst, was von solchen k. k. Scherzen 
zu halten sei. Aber auch der Zollverein der constitutionellen Südstaaten 
erschien zu Wien hochgefährlich. Sobald das diplomatische Getriebe in 
Cassel begann, wurde Frhr. v. Hruby, einer der eifrigsten und gefähr- 
lichsten Feinde Preußens, so recht ein Vertreter des alten ferdinandeischen 
*) Schminke an du Thil, 15. März 1828. 
**) Weisung an Nagler, Otterstedt u. s. w., 5. April 1828. 
 
	        
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