Abfall von Meiningen und Gotha. 673
für den mitteldeutschen Bund geworben; vergeblich war der Nassauer
Röntgen, jener alte vielgeschäftige Feind Preußens, nach Stuttgart gereist,
um dort vorzustellen: Motz, der ruchlos ehrgeizige Kraftmensch, wolle
Preußen durch die Entfesselung der industriellen Kräfte zur leitenden deut—
schen Macht erheben. In Berlin selbst arbeiteten einige Agenten des
mitteldeutschen Vereins, so der Frankfurter Senator Guaita. Oesterreich
sendete den Hofrath Eichhof nach München um Baiern durch das Ange—
bot einiger geringfügigen Handelserleichterungen von Preußen hinwegzu—
locken und zugleich den König Ludwig zu erinnern, wie feindselig Preußen
in der Sponheimer Sache gehandelt habe. Münch in Frankfurt ver—
suchte wieder einmal, den Darmstädter Hof gegen Hofmann, „dies Werk-
zeug Preußens", einzunehmen. Die Diplomatie Englands, Frankreichs,
Hollands — voran Lord Erskine und Graf Rumigny in München —
ward nicht müde vor Preußen zu warnen. Von allen fremden Mächten
zeigte sich wieder nur Rußland als ein treuer Freund Preußens; Anstett
in Frankfurt sprach offen und nachdrücklich für die Berliner Handelspolitik.
Nach und nach begann doch die vollendete Thatsache ihren Zauber
zu üben. Wie lange sollte man noch die Klagen der mißhandelten Nation
ertragen? Wie lange noch sich abquälen an allezeit vergeblichen Sonder-
bünden, während Preußen jede handelspolitische Verhandlung regelmäßig
erfolgreich hinausführte? Selbst Blittersdorff, der rastlose Parteigänger
Oesterreichs, gab nunmehr die Sache Habsburgs fast verloren. Wenn
Preußen, so schrieb er, alle deutschen Staaten unter seinem Handelssysteme
vereinigt, dann ist Oesterreich faktisch aus dem Deutschen Bunde hinaus-
gedrängt! Der Verkehr wird dadurch nicht centralisirt, sondern, bei der
großen Anzahl unserer kleinen Mittelpunkte, überall gleichmäßig belebt
werden. Die Gefahren für die Souveränität sind geringer in einem großen
Zollvereine, als wenn man versucht der Zeit in den Weg zu treten.) —
Die preußisch-bairischen Verhandlungen blieben ein Schlag ins Wasser,
so lange der Verkehr zwischen den beiden Staaten den willkürlichen „Re-
torsionen“ des mitteldeutschen Vereines unterlag. Die neue Straße von
Westphalen durch das darmstädtische Gebiet verband nur die westlichen
Provinzen Preußens mit den Ländern der süddentschen Bundesgenossen
und führte überdies in der Frankfurter Gegend einige Stunden lang
durch mitteldeutsches Vereinsland. Sollte der preußisch-bairische Bund
Lebenskraft gewinnen, so war eine zollfreie Straße zwischen den Haupt-
massen der beiden verbündeten Zollvereine unentbehrlich. Da erinnerte
sich Motz zur guten Stunde an den Straßendünkel des Meininger Reichs
und an jenen unterthänigen Entschuldigungsbrief des Gothaer Herzogs.
Wie nun, wenn Preußen dem Meininger Lande die Mittel bot, jene Welt-
handelsstraße zwischen Italien und der Nordsee wirklich zu bauen? Der
*) Blittersdorff an Berstett, 12. März, 17. Dec. 1829.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. III. 43