688 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
strahlenden Augen folgte der Alte den kühnen Flügen Byron's. Die
revolutionäre Macht der Byronischen Muse erinnerte ihn an die Zeiten,
da er selber als ein Himmelsstürmer in den zahmen Frieden der deutschen
Dichtung eingebrochen war. Er überschätzte sogar den englischen Dichter;
denn seine kerngesunde Natur konnte sich die Empfindung des leeren
Weltschmerzes an einem großen Künstler nicht vorstellen. Er wußte nicht,
wie stark der Spleen des blasirten Weltmannes bei der finsteren Menschen—
verachtung des Briten mitwirkte, und wenn er Byron nannte „stark
angewohnt das tiefste Weh zu tragen“, so glaubte er wirklich, das Ge—
wissen des Lords sei mit einer schweren Blutschuld belastet. Mit den
Malern und Bildhauern, die er unter seine Flügel nahm, hatte er bisher
wenig Ehre eingelegt, da führte ihm ein gütiger Stern den jungen
Friedrich Preller zu. Mit väterlicher Sorgfalt nahm er sich des Jüng-
lings an, erwirkte ihm die Gunst Karl August's und verwies ihn auf die
Meister des großen Stiles der Landschaftsmalerei, auf Claude Lorrain
und Poussin. So fiel noch ein letzter warmer Sonnenstrahl aus Weimars
goldener Zeit auf die Jugend des Künstlers, der nach langen Jahren
wieder einen schönen Nachsommer über die kleine Musenstadt heraufführen
sollte. Mittlerweile legte Goethe die letzte Hand an seinen Faust. Während
die vorlauten jungen Leute ihn bereits zu den Todten warfen, sah er,
jugendlicher als sie alle, schon das thatkräftige Zeitalter nahen, das die
Elemente bändigen und seinen Ruhm finden sollte in dem Gedanken: auf
freiem Grund mit freiem Volk zu stehen.
Die deutsche Lyrik war in ihrer technischen Fertigkeit längst so sicher,
daß sie sich in allen Weisen, den kunstvollen wie den kunstlosen frei er-
gehen konnte. Hatte sie einst, bevor Goethe auftrat, oft stammelnd nach
einem mächtigen Ausdruck für ihre tiefe Empfindung gesucht, so lief sie
jetzt schon Gefahr, in zierlichem Formenspiele den lebendigen Inhalt zu
verlieren. Noch ganz unverbildet, ein echter Sohn des munter fabuliren-
den Schlesiens, sang Joseph v. Eichendorff seine frischen Lieder wie der
Vogel auf den Zweigen. Er hatte seine entscheidenden Jahre unter den
Heidelberger Romantikern verlebt und gleich den namenlosen Sängern
des Wunderhorns beherrschte er nur einen engen Kreis von Bildern und
Gefühlen; doch wenn er in guten Stunden das fröhliche Wandern über
Thäler weit und Höhen besang, oder Freud' und Leid des frommen Hauses
oder den träumerischen Zauber der deutschen Gebirgslandschaft mit dem
Mühlenrad im kühlen Grunde, dann fand er Worte, die sich der Musik
von selber fügten. Von den Poeten der streng katholischen Romantik
wußte keiner das einfach Menschliche so unmittelbar, so liebenswürdig aus-
zusprechen. Was bei Anderen Doktrin war bei ihm Natur. Er lebte mit
seinem warmen Herzen in der Welt der Ritter, der Mönche, der fahren-
den Schüler, er half bei dem Wiederaufbau der Marienburg so freudig
mit als gälte es seinem eigenen Hause, und wenn er in seinen litera-