Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

700 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. 
eingeborenen Rechtes“ galten. Obwohl er nur als Alterthumsforscher, 
nicht als Staats- und Rechtslehrer schreiben wollte, so warfen doch seine 
Untersuchungen über die Mark und den Hammerwurf ein erklärendes 
Licht auf weite, noch unerforschte Epochen deutscher Staats= und Wirth- 
schaftsgeschichte, auf jene Zeiten namentlich, da die Germanen von der 
Viehzucht zum seßhaften Ackerbau übergingen und die tragende Habe die 
treibende zurückdrängte. Er zuerst entdeckte, daß bei der Vermischung ver- 
schiedener Nationen der Kern des Rechtes wie der Sprache noch lange 
unverändert bleibt, während die Proceßformen und die Formen der Wörter 
sich rascher verwandeln. 
Einige Ergebnisse der germanistischen Forschung wurden allmählich 
zum Gemeingut der Gebildeten, feit Karl Simrock die Nibelungen und 
dann auch andere mittelhochdeutsche Dichtungen übersetzte — ein geistvoller, 
liebenswürdiger Rheinländer, dem der Schelm im Nacken saß, zugleich 
Dichter und Gelehrter, hochbegeistert für Deutschlands alte Größe und 
die Schönheit seines sagenreichen heimischen Stromes. Als Nach- 
dichter wollte er nicht, wie die Uebersetzer aus fremden Sprachen, Alles 
in blankes, neues Deutsch übertragen; er begnügte sich, die dem heutigen 
Sprachgefühle ganz unverständlichen Worte schonend zu ersetzen und wahrte 
also jenen alterthümlichen Hauch, der an vaterländischen Dichtungen nicht 
befremdet, sondern anheimelt. 
Nicht minder fruchtbar wurde dies Jahrzehnt für die Theologie. In 
seiner Glaubenslehre (1821) führte Schleiermacher die Grundgedanken 
der Reden über die Religion mit methodischer Strenge durch. Er zeigte, 
wie die Religion in der Einheit unseres inneren Lebens wurzelt, in dem 
unmittelbaren Selbstbewußtsein des Menschen, das alles Wollen und 
Denken beherrscht und durchdringt. Nicht in dem Fürwahrhalten be- 
stimmter Dogmen fand er das Wesen des Glaubens, sondern in der inneren 
Erfahrung von der Erlösung. Dies innerlich Erlebte wollte er den 
Denkenden darlegen und also die wissenschaftliche Bildung des Jahrhunderts 
mit dem Glauben versöhnen. Das Unternehmen konnte nicht völlig ge- 
lingen; mehr denn einmal überschritt der große Dialektiker die Schranken 
des Erkennens und suchte zu erweisen was jenseits aller Beweise liegt. 
Aber ein mächtiger Geist sprach aus dieser seelenvollen Auffassung des 
Christenthums, eine weitherzige Liebe, die selbst den Gedanken der ewigen 
Verdammniß nicht fassen, an einer allgemeinen Wiederherstellung aller 
Seelen nicht verzweifeln wollte. Bald darauf (1828) eröffneten Ullmann 
und Umbreit in ihren „Studien und Kritiken“ einen Sprechsaal für die 
Vermittlungstheologie, die sich von Paulus ebenso bestimmt abschied wie 
von Hengstenberg; die drei großen Richtungen der evangelischen Theologie 
erschienen nunmehr sämmtlich als fest geordnete Parteien. 
Welch eine Wandlung seit jenen Tagen kirchlicher Stille, da Schleier- 
macher zuerst wieder die längst vergessene Wahrheit verkündigte, daß die
	        
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