700 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit.
eingeborenen Rechtes“ galten. Obwohl er nur als Alterthumsforscher,
nicht als Staats- und Rechtslehrer schreiben wollte, so warfen doch seine
Untersuchungen über die Mark und den Hammerwurf ein erklärendes
Licht auf weite, noch unerforschte Epochen deutscher Staats= und Wirth-
schaftsgeschichte, auf jene Zeiten namentlich, da die Germanen von der
Viehzucht zum seßhaften Ackerbau übergingen und die tragende Habe die
treibende zurückdrängte. Er zuerst entdeckte, daß bei der Vermischung ver-
schiedener Nationen der Kern des Rechtes wie der Sprache noch lange
unverändert bleibt, während die Proceßformen und die Formen der Wörter
sich rascher verwandeln.
Einige Ergebnisse der germanistischen Forschung wurden allmählich
zum Gemeingut der Gebildeten, feit Karl Simrock die Nibelungen und
dann auch andere mittelhochdeutsche Dichtungen übersetzte — ein geistvoller,
liebenswürdiger Rheinländer, dem der Schelm im Nacken saß, zugleich
Dichter und Gelehrter, hochbegeistert für Deutschlands alte Größe und
die Schönheit seines sagenreichen heimischen Stromes. Als Nach-
dichter wollte er nicht, wie die Uebersetzer aus fremden Sprachen, Alles
in blankes, neues Deutsch übertragen; er begnügte sich, die dem heutigen
Sprachgefühle ganz unverständlichen Worte schonend zu ersetzen und wahrte
also jenen alterthümlichen Hauch, der an vaterländischen Dichtungen nicht
befremdet, sondern anheimelt.
Nicht minder fruchtbar wurde dies Jahrzehnt für die Theologie. In
seiner Glaubenslehre (1821) führte Schleiermacher die Grundgedanken
der Reden über die Religion mit methodischer Strenge durch. Er zeigte,
wie die Religion in der Einheit unseres inneren Lebens wurzelt, in dem
unmittelbaren Selbstbewußtsein des Menschen, das alles Wollen und
Denken beherrscht und durchdringt. Nicht in dem Fürwahrhalten be-
stimmter Dogmen fand er das Wesen des Glaubens, sondern in der inneren
Erfahrung von der Erlösung. Dies innerlich Erlebte wollte er den
Denkenden darlegen und also die wissenschaftliche Bildung des Jahrhunderts
mit dem Glauben versöhnen. Das Unternehmen konnte nicht völlig ge-
lingen; mehr denn einmal überschritt der große Dialektiker die Schranken
des Erkennens und suchte zu erweisen was jenseits aller Beweise liegt.
Aber ein mächtiger Geist sprach aus dieser seelenvollen Auffassung des
Christenthums, eine weitherzige Liebe, die selbst den Gedanken der ewigen
Verdammniß nicht fassen, an einer allgemeinen Wiederherstellung aller
Seelen nicht verzweifeln wollte. Bald darauf (1828) eröffneten Ullmann
und Umbreit in ihren „Studien und Kritiken“ einen Sprechsaal für die
Vermittlungstheologie, die sich von Paulus ebenso bestimmt abschied wie
von Hengstenberg; die drei großen Richtungen der evangelischen Theologie
erschienen nunmehr sämmtlich als fest geordnete Parteien.
Welch eine Wandlung seit jenen Tagen kirchlicher Stille, da Schleier-
macher zuerst wieder die längst vergessene Wahrheit verkündigte, daß die