Nachgiebigkeit des Großherzogs. 63
hochconservativen Partei und hatte sich in Gießen als unerbittlicher Ver—
folger der Demagogen einen schlimmen Leumund erworben. Gleichwohl
vereinigten sie sich allesammt in der Erkenntniß, daß die Gährung im
Lande allein durch eine Constitution beschworen werden könne.
Der Großherzog ertheilte seine Genehmigung, und am 14. Oktober
überraschte Hofmann den Landtag durch die Aufforderung: die Stände
möchten nur Alles was sie noch zur Vervollständigung des März-Edikts
wünschten, der Regierung vorschlagen; dann sollten die vereinbarten Punkte
in einer Verfassungsurkunde zusammengestellt werden und mit deren Ver—
kündigung das März-Edikt außer Wirksamkeit treten. Der Erfolg bewies
augenblicklich, wie richtig Grolmann gerechnet hatte. Das den Herzen
dieses Geschlechts so unwiderstehliche Wort „Verfassung“ wirkte wie ein
Zauberschlag: nun waren die Hessen doch ebenso frei wie die Baiern,
Badener und Württemberger! Der Saal erdröhnte von Freudenrufen.
In tiefer Bewegung sprach der Präsident Eigenbrodt: „sie ist nun da, die
Morgenröthe eines schönen Tages, der das Band der Liebe und des Zu—
trauens zwischen einem edlen Fürsten und einem biedern Volke befestigen,
noch fester knüpfen wird.“ Dann schloß er die Sitzung, damit der große
Tag nicht durch andere Geschäfte entweiht würde. Welch ein Jubel sodann,
als der Großherzog Abends im Theater unter seinem getreuen Volke
erschien! Ueberall im Lande die gleiche Begeisterung, überall, wie das
Stichwort des Tages lautete, die gerührte Dankbarkeit glücklicher Kinder
gegen den allgeliebten Vater.
An den Höfen fand der Freudenrausch des hessischen Volkes wenig
Widerhall. Wie hart war schon der König von Württemberg getadelt
worden, weil er seiner Verfassung die Form eines Vertrags gegeben hatte,
und er konnte sich doch auf das alte Recht seiner Schwaben berufen. Jetzt
aber erbot sich ein zweiter deutscher Fürst freiwillig zu einer Verein—
barung mit seinen Ständen, obgleich diesen ein historischer Rechtsanspruch
unzweifelhaft nicht zur Seite stand. Eine solche Verletzung des mo—
narchischen Princips schien hochgefährlich. Der Erbgroßherzog und sein
Bruder Prinz Emil hatten ihres Unmuths kein Hehl und beschuldigten
den Minister, daß er hinter ihrem Rücken die Gutherzigkeit ihres altern—
den Vaters mißbraucht habe. „Wenn Ihr Schwager seinen Frieden mit
den Jacobinern schließen will — sagte Prinz Emil dem Kanzler Arens ins
Gesicht —, dann will ich den Krieg mit ihm. Mag Grolmann in den
Koth stürzen, das ist mir sehr gleichgiltig; aber daß er meinen Vater mit
hineinreißt, das werde ich ihm nie verzeihen.““) Prinz Emil hatte neuer-
dings die bonapartistischen Ideale seiner Jugendjahre allmählich aufgegeben
und sich auf dem Aachener Congresse persönlich mit den neuen Gebietern
Europas ausgesöhnt. Ein ausgezeichneter Soldat, klug, unterrichtet,
*) Prinz Emil v. Hessen an Otterstedt, 14. Okt. 1820.