Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

706 III. 9. Literarische Vorboten einer neuen Zeit. 
hätte ein so unharmonischer Charakter nur pathologische Theilnahme erweckt; 
in der Verwirrung und Verbitterung der deutschen Parteikämpfe konnte 
er eine Weile die Rolle des Volkstribunen spielen. Die Größen unserer 
classischen Literatur standen diesem Kopfe zu hoch; er hielt sich an Jean 
Paul und versank in seiner Jugend so tief in weinerliche Selbstbespiegelung, 
daß er sich, als er in die schöne Henriette Hertz verliebt war, die Stunden 
und Minuten seiner „Seelenhypochondrie“ und ihrer erhabenen Gefühle 
sorgfältig im Tagebuch aufzeichnete. Nachher raffte er sich zusammen 
und errang sich zuerst als Theaterkritiker einen Ruf, der allerdings 
durch die Beflissenheit seiner Stammgenossen ungebührlich vergrößert 
wurde, aber nicht ganz unverdient war; ohne durchgebildeten Schönheits— 
sinn, besaß er doch den gesunden Naturalismus des Menschenverstandes. 
Er geißelte nicht nur mit treffendem Spott den Aberwitz der Schicksals— 
tragödie und andere grobe Geschmacksverirrungen, sondern fand auch mit 
richtigem Blick einzelne verkannte Talente, wie Kleist und Immermann 
aus dem Haufen heraus. 
Zugleich begann er in der Wage, den Zeitschwingen und anderen 
Blättern über Politik und Gesellschaft zu schreiben. Diese Thätigkeit nahm 
ihn bald ganz in Anspruch, als Politiker entfaltete er alle Künste seines 
Hohnes. Der Hohn ist aber nur dann berechtigt, wenn er dem edlen 
Zorne eines überlegenen Geistes entspringt, und diesem Manne fehlte 
schlechterdings Alles, was den Publicisten macht: der Sinn für das Wirk— 
liche, das Machtgefühl, die Voraussicht und sogar die gewöhnliche Sach— 
kenntniß. Den Fleiß, der seine Stammgenossen sonst auszeichnet, hielt er 
in der Politik für überflüssig. Seine politischen Aufsätze sind sammt und 
sonders leichte Feuilleton-Artikel, kein einziger darunter, der eine ernst— 
hafte Beschäftigung mit dem Stoffe verriethe. Durch Börne kam bei uns 
„das souveräne Feuilleton“ in Schwang, das der unfertigen politischen 
Bildung der Deutschen unsäglich schadete: der vorwitzige Dilettantismus 
erdreistete sich, mit einigen Späßen, Wortspielen, Bildern und Entrüstungs— 
rufen über alle ernsten Fragen der Staatskunst abzusprechen. 
Wo der Witz allein ausreichte da war Börne in seinem Element. 
Die Abderitenstreiche der deutschen Kleinstädter verhöhnte er mit guter 
Laune, freilich auch mit einem ungeheuren Lärm, der zu der Winzigkeit 
des Gegenstandes wenig stimmte. Der Witz ist ein Kind des Augenblicks, 
und die Nachwelt wird dem schnell Veralteten selten ganz gerecht. Indeß 
wußte Börne über Allerhöchstdieselben, über Hof= und Commerzienräthe, 
über Geheimraths-Waisen, über die Taxissche Post und den Eßkünstler 
an der Wirthstafel wirklich lustig zu reden; diese Späße sind das Un- 
sterbliche in seinen Werken, das Einzige, was noch heute eine flüchtige 
Aufmerksamkeit erregen kann. Sobald er aber versuchte sich aus diesem 
Philisterjammer in die Politik zu erheben, dann zeigte sich die erschreckende 
Gedankenarmuth eines dürren Verstandes, der bei jedem verwickelten poli-
	        
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