Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

H. Heine. 713 
Sein Buch der Lieder brachte neben vielen leeren Nachahmungen auch 
einige Gedichte, welche den besten Werken der deutschen Romantik nicht 
nachstanden. Denn Heine war nicht nur ein unvergleichlich reicherer 
Geist als Börne, der allen Wein des Lebens in die Schläuche der Politik 
füllte, sondern auch weit mehr ein Deutscher als sein Frankfurter Stamm— 
genosse. In den Stunden, da er ein Dichter war, empfand er ganz 
deutsch. Deutsches Gemüth sprach aus der kleinen Zahl seiner wirklich 
erlebten Liebesgedichte, aus seinen Frühlingsliedern, auch aus dem Liede 
vom Fichtenbaum und der Palme, das für die Wandersehnsucht der 
Germanen sinnige Worte fand und nur durch die übermäßige Wieder— 
holung seinen Zauber verloren hat. Und wenn er als ein geschickter 
Macher das Lied von der Loreley, die glückliche Erfindung Clemens 
Brentano's, neu gestaltete, so durfte er sich doch rühmen, daß er einem 
schönen Stoffe die der nationalen Empfindung entsprechende Form gegeben 
und sein Eigenthum genommen habe wo er es gefunden. 
Jenes unwillkürliche, freudige Verständniß, das große Dichter bei 
ihrem Volke zu erwecken wissen, hat Heine nie gefunden. Die Deutschen 
kamen mit ihm niemals recht ins Reine, sie nahmen ihn stets zu ernst. 
Der lose Schalk wollte unterhalten, rühren, verblüffen und vor Allem 
gefallen; auf den Inhalt seiner Worte gab er nichts. Er spielte von 
früh auf den politischen Märtyrer, obgleich ihm noch Niemand ein Haar 
krümmte und die vereinzelten Verbote seiner Schriften nur die gewöhn— 
liche Wirkung hatten, den Absatz der Bücher zu vermehren. In Wahr— 
heit betrachtete er, nach dem guten Rechte des Humoristen, alle Politik 
nur als ein Mittel für seine literarischen Zwecke; das hohle politische 
Geschwätz, das er in seine Schriften einflocht, sollte bloß blenden und 
kitzeln, während Börne im ganzen Ernst politische Zwecke zu verfolgen 
glaubte und nur nicht fähig war einen politischen Gedanken zu finden. 
Seine Schuld war es nicht, daß die Leser in den Witzen einen tiefen Sinn 
suchten. Der einzige politische Gedanke, den er sein Lebelang treulich fest- 
hielt, war der Todhaß gegen Preußen, und dieser Haß war nicht ganz 
frivol, nicht ohne naturwüchsige Kraft; in ihm verrieth sich der Rhein- 
länder. Wenn Heine über die preußischen Soldaten spottete: „der Zopf, 
der ehemals hinten hing, der hängt jetzt unter der Nase“, so meinte man 
einen Düsseldorfer Gassenbuben oder einen Kölnischen Carnevals-Gecken 
zu hören und erkannte beruhigt, daß dieser Deutsch-Jude doch eine Heimath 
hatte. Im Uebrigen ward sein politisches Urtheil lediglich durch die 
Launen des Angenblicks und durch ästhetische Neigungen bestimmt. Nach 
Byron's Vorbild suchte er die Blüthe der Menschheit auf den Höhen oder 
in den Tiefen der Gesellschaft; das Bürgerthum, in dem die neue deutsche 
Literatur ihre Wurzeln hatte, war ihm lächerlich und langweilig, unter 
bürgerlicher Tugend verstand er die zahlungsfähige Moral seiner Hamburger 
Börsenmänner. Auch er liebte Deutschland auf seine Weise, ebenso aufrichtig
	        
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