Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Hegel's Religionsphilosophie. 717 
Das System gab sich für unangreifbar aus, seine Sätze sollten ein- 
ander wechselseitig tragen und halten. Aber die Gestaltung der Welt, 
wie Hegel sie darstellte, ergab sich in Wahrheit nicht mit logischer Noth- 
wendigkeit aus den obersten Grundsätzen, sie war erdacht und erdichtet 
durch die subjective Willkür des Philosophen selber. Darum zeigte sich in 
der Ausführung des Systems überall eine auffällige Ungleichheit; einzelne 
Theile waren völlig mißlungen, andere enthielten den Keim einer frucht- 
baren, weit in die Zukunft hinauswirkenden Weltansicht. Gänzlich ver- 
fehlt war Hegel's Naturphilosophie; denn die greifbare Wirklichkeit der 
Natur setzt jedem Versuche, sie aus dem Begriffe heraus zu construiren 
einen harten, fast spöttischen Widerstand entgegen, und eben hier fehlte 
dem Philosophen alle Sachkenntniß. Die jungen Meister der exakten 
Forschung, die sich in Berlin um Alexander Humboldt schaarten, hatten 
guten Grund über diese Träume zu spotten, denn was Humboldt eben jetzt 
von seiner sibirischen Reise an wirklicher Naturkenntniß heimbrachte, wog 
allein schon schwerer als Hegel's gesammte naturphilosophische Constructionen. 
Ebenso unglücklich zeigte sich Hegel in der Religionsphilosophie; auf 
diesem ihrem eigensten Gebiete war ihm Schleiermacher's religiöse Natur 
weit überlegen. Er begann mit der aller Erfahrung widersprechenden 
Behauptung, daß Philosophie und Religion denselben Inhalt hätten, jene 
aber das Absolute darstelle in der Form des Denkens, diese in der Form 
der Vorstellung. Der religiöse Glaube war ihm also nicht eine ursprüng- 
liche, den ganzen Menschen, sein Denken und sein Wollen bestimmende 
Macht des Gemüths, sondern nur eine unreife Form der Wissenschaft. 
Daraus ergab sich — wie geschickt man das auch durch dialektische Künste 
zu verhüllen suchte — unwidersprechlich die Nothwendigkeit des Cäsaro- 
papismus; denn der denkende Staat muß einer Kirche, die sich nur in 
der Welt der Einbildungskraft bewegt, unbedingt übergeordnet sein. Wenn 
Hegel's gelehriger Schüler Altenstein das innere Leben der Kirchen be- 
ständig zu meistern versuchte, so trugen die Lehren des Meisters an dieser 
verfehlten Kirchenpolitik unzweifelhaft einige Mitschuld. Die Idee der 
Erlösung, der Mittelpunkt von Schleiermacher's Glaubenslehre, trat in 
Hegel's System ganz zurück. Ihm lag vielmehr daran, die Dogmen 
wissenschaftlich zu erweisen, selbst die harten, der Vernunft ewig unzu- 
gänglichen, selbst das Dogma der Dreieinigkeit; und diese gewaltsame 
Künstelei erschien um so unfruchtbarer, da der pantheistische Grundgedanke 
des Systems der christlichen Dogmatik offenbar widersprach. 
Um so mächtiger entfaltete sich Hegel's Genius auf dem Gebiete der 
Aesthetik. Was er hier sagte über die Einheit von Idee und Bild im 
Kunstwerk, war groß, tief, neu und so lebensvoll, daß noch heute alle 
ernsten ästhetischen Urtheile der Deutschen sich bewußt oder unbewußt an 
Hegel anlehnen. Den zeitgenössischen Dichtern wurde er gerecht mit der 
Sicherheit einer großen Seele; er verstand nicht nur Goethe, sondern auch
	        
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