Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

66 III. 1. Die Wiener Conferenzen. 
liehen werden solle. So erschien das Grundgesetz, obwohl es in Wahr- 
heit mit dem Landtage vereinbart war, der Form nach als eine gegebene 
Verfassung, und das den strengen Monarchisten so unheimliche Schreckbild 
eines politischen Grundvertrages war glücklich vermieden. Zur selben 
Zeit wurde Leutnant Schulz aus der Armee entlassen, nachdem Prinz 
Emil und die Offiziere seines Reiter-Regiments den Großherzog dringend 
um „die Entfernung dieses Unwürdigen“ gebeten hatten; und nun erst 
söhnten sich die Prinzen mit der neuen Ordnung der Dinge völlig aus.“) 
Aus Ehrfurcht vor dem greisen Landesherrn ließen sich die Landstände 
gleichfalls die Form der Verfassungsverleihung wohl gefallen, da sie in 
der Sache doch fast alle ihre Wünsche durchgesetzt hatten; sie widersprachen 
auch nicht, als der Minister die fragwürdige Behauptung aufstellte, daß 
die Weisheit des Großherzogs schon im März Alles genau so wie es ge- 
kommen sei vorhergesehen habe. Genug, Grolmann hatte, gewandt und 
fest, zuerst die Radicalen geschlagen, dann die höfische Opposition, die bei 
der beginnenden Altersschwäche des Großherzogs unberechenbaren Schaden 
stiften konnte, gänzlich entwaffnet. Am 17. December wurde das Grund- 
gesetz unterzeichnet und alsdann, unter neuen Ausbrüchen stürmischer 
Freude, von den Kammern entgegengenommen. 
Die hessische Verfassung war der badischen sehr ähnlich; jedoch be- 
stand die erste Kammer, nach dem Vorbilde Württembergs, nur aus den 
Standesherren und einigen vom Landesherrn Ernannten. Die Mitglieder 
der Ritterschaft erhielten ihren Platz in der zweiten Kammer neben den 
Abgeordneten der großen Städte und der gemischten Wahlbezirke, damit 
„das aristokratische Princip nicht zu sehr die Oberhand gewinne“; und nach- 
dem man während des Verfassungskampfes genugsam erfahren hatte, wie 
niedrig die alten reichsunmittelbaren Geschlechter den Werth einer darm- 
städtischen Pairie schätzten, so half man sich, gleich den Württembergern, 
durch die wunderliche Vorschrift, daß eine nicht vollzählig erschienene 
Kammer als einwilligend angesehen werden solle. Ueber die Beschluß- 
fähigkeit der zweiten Kammer enthielt die hessische Verfassung, wie alle die 
anderen neuen Grundgesetze des Südens, sehr kleinliche Bestimmungen. 
Da die Bureaukratie den gesetzgebenden Körper wie ein Regierungs- 
collegium, das seine Amtsstunden absitzen muß, betrachtete, und die Volks- 
vertreter überdies Tagegelder bezogen, so forderten die süddeutschen Ver- 
fassungen allesammt, daß mindestens die größere Hälfte, in Baiern und 
Württemberg sogar zwei Drittel der Abgeordneten immer anwesend sein 
müßten — eine pedantische Kleinmeisterei, welche seitdem eine traurige 
Eigenthümlichkeit des deutschen Parlamentarismus geblieben ist und sein 
Ansehen im Volke schwer geschädigt hat. 
  
*) Eingabe des Prinzen Emil und der Offiziere des Chevauxlegers-Regiments an 
den Großherzog, Nov. 1820.
	        
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