732 III. 10. Preußen und die orientalische Frage.
wurde, auf europäischem Boden ein christliches Volk niederzumetzeln. Die
besser Unterrichteten konnten freilich nicht verkennen, welche Gefahren dieser
Vertrag in seinem Schooße barg. Seine Urheber waren keineswegs einig.
Ganz ohne Hintergedanken verfuhr nur Frankreich: König Karl empfand
die ehrliche Begeisterung des Kreuzfahrers und wollte zugleich das ge—
sunkene Ansehen seines Landes durch eine großartige Machtentfaltung im
Osten heben. Canning dagegen hatte kürzlich durch den Commodore
Hamilton unter der Hand bei den Griechen anfragen lassen, ob sie eine
Republik unter englischem Schutze bilden wollten. Da die Hellenen, ge—
witzigt durch das abschreckende Beispiel der ionischen Inseln, den Vorschlag
mit Schaudern zurückgewiesen hatten, so verfolgte die englische Politik jetzt
zunächst den Zweck, keinen anderen Einfluß im Orient aufkommen zu lassen
und durch die Beschützung des osmanischen Reichs der britischen Flagge ihr
altes Marktgebiet zu erhalten; die Sache der Griechen stand ihr erst in
zweiter Linie. Czar Nikolaus endlich bereitete längst den Krieg vor, fort
und fort ward in seinem Heere gerüstet. Er verabscheute die Hellenen,
weil sie Empörer waren und weil ein selbständiges Griechenland den
byzantinischen Träumen der Moskowiter leicht hinderlich werden konnte;
doch er betrachtete die griechischen Händel als ein Mittel, um seinem
Reiche die Vorherrschaft am Bosporus zu erringen. Wie die Dinge lagen
durfte der Czar wohl auf die Erfüllung seiner Hoffnungen rechnen. Denn
von der Hartnäckigkeit des Sultans war die Bewilligung eines Waffen-
stillstandes nicht zu erwarten. Griffen die Verbündeten darauf zu den
angedrohten „geeigneten Mitteln“, so ließ sich ein Zusammenstoß kaum
vermeiden; dann war ein Kriegsgrund für Rußland leicht gefunden, und
dann mußte sich zeigen, daß die Westmächte nur für den Czaren ge-
arbeitet hatten. Ein gnädiges Schicksal ersparte dem leitenden Staats-
manne Englands diese große Enttäuschung noch zu erleben. Canning starb
wenige Wochen nach dem Londoner Vertrage, zur rechten Zeit für seinen
Ruhm, noch bevor die Welt den Mißerfolg seines letzten diplomatischen
Feldzugs durchschaute; so blieb dem kalt rechnenden Handelspolitiker der
unverdiente Name des Befreiers der Hellenen.
Nach der Meinung der österreichischen Staatsmänner konnte der
Dreibund nur in Nichtigkeit versinken oder den Krieg herbeiführen. Wollte
die Hofburg diese Kriegsgefahr abwenden, so mußte sie ihren ganzen Ein-
fluß aufbieten, um den befreundeten Sultan zur Nachgiebigkeit zu be-
stimmen. Metternich rechnete aber auf den Zerfall des Dreibundes; er
fuhr daher fort in seinem Doppelspiele, gab den drei Mächten glatte
Worte und ermuthigte unter der Hand die Pforte zum Widerstande. Im
Oriente bleibt indeß nichts geheim. Der Hospodar der Wallachei sendete
Abschriften der aus Wien erhaltenen Weisungen nach Petersburg, sein
Sohn schickte sogar einige Originalbriefe von Gentz, die er dem Vater
gestohlen hatte. Durch diese und andere unzweidentige Beweise sah Czar