Preußen und die Großnächte. 739
Wellington aber ging auf Oesterreichs Absichten willig ein, und zu Anfang
des Jahres 1829 schien ein europäischer Krieg nicht mehr unmöglich:
England und Oesterreich auf der einen, Rußland, Frankreich und vielleicht
auch Preußen auf der anderen Seite. Radetzky erörterte schon in einer
Denkschrift den Fall eines Krieges gegen Rußland und Preußen; er nannte
Preußen „den unförmlichsten Staat, den es je auf dem Erdenrund gegeben
hat“; aber selbst der fähigste General der k. k. Armee verfiel nicht auf die
Frage, ob es nicht klug sei, diesem unförmlichen Staate die unentbehrliche
Abrundung zu gönnen, sondern erklärte kurzab, mit dem alten ferdinan-
deischen Uebermuthe: „wir dürfen Preußen keine Vergrößerung gestatten."
Unterdessen wüthete Gentz in seinen Zeitungen gegen Rußland und den
russisch gesinnten Berliner Hof; zu gleicher Zeit flehte er den König von
Preußen brieflich um ein Geldgeschenk an. Zur Begutachtung aufgefor-
dert rieth Bernstorff das erbauliche Gesuch zu bewilligen, da der mächtige
Publicist der Gesandtschaft in Wien nützlich sein könne; aber, fügte er
hinzu, „Herr v. Gentz ist ein sehr vornehmer, vielfach verwöhnter und
bedürfnißreicher Bettler“; weniger als vier= bis sechstausend Thaler dürfe
man ihm also nicht geben.)
Ganz unerwartet war Preußen in eine hochwichtige, freilich auch
gefahrvolle diplomatische Stellung gelangt. Kam es zum Bruch zwischen
den beiden Kaisermächten, so konnte der Berliner Hof, da er sich noch
nach keiner Seite hin gebunden hatte, leicht den Ausschlag geben. In
Konstantinopel war er augenblicklich die einzige Macht, deren Meinung
von den erbitterten Türken noch angehört wurde. Im vergangenen Früh-
jahr war der Gesandte, Frhr. v. Miltitz, auf Befehl des Königs, durch
den nach Konstantinopel geschickten Major von Canitz wegen grober Pflicht-
verletzung abgesetzt worden, weil er, tief verschuldet, von einer fremden
Macht — wahrscheinlich von Oesterreich — Geschenke angenommen und
einmal einen unwahren Bericht eingesendet hatte.“) Dieser widerwärtige,
politisch unerhebliche Zwischenfall wurde indeß schnell vergessen; Miltitz's
Nachfolger Royer stand mit der Pforte auf gutem Fuße. Aber welche
Aussichten, wenn der europäische Krieg ausbrach! Sollte Preußen, mit
dem ungerüsteten Oesterreich verbündet, sich in einem Kampfe gegen Rußland
und Frankreich zugleich verbluten, lediglich um Oesterreichs orientalische
Interessen, die man in der Hofburg selber nicht verstand, zu wahren?
Oder sollte der König mit Rußland und Frankreich vereint gegen Oester-
reich kämpfen? Das hieß den Deutschen Bund zersprengen, ehe noch
irgend ein Ersatz für ihn gefunden war.
Und wie verdächtig blieb doch Frankreichs Bundesgenossenschaft. Trotz
der kleinen Freundlichkeiten, die zur Zeit zwischen den beiden Höfen aus-
"7) Bernstorff an Lottum, 25. Dec. 1828.
*“) Berichte von dem k. k. Dragoman Huszar, 18. März, Ottenfels, 19. März,
Jordan, 21. Aug. 1828.
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