Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

Baiern und die Karlsbader Beschlüsse. 767 
kannte. Indem ich jetzt die beiden Erzählungen vergleiche, gelange ich zu dem Schluß, 
daß beide wahr sind; sie ergänzen einander, doch sie widersprechen sich nicht. Wenn zwei 
feindliche Parteien in einem Cabinet zusammengedrängt sind, dann geschieht es zuweilen, 
daß sie sich über einen gemeinsamen Beschluß einigen, während jede dabei ihre eigenen 
Absichten verfolgt. So auch hier. Die Verfassungspartei wollte den Grafen Rechberg 
nicht nach Wien ziehen lassen, damit er nicht wieder seine Instructionen überschritte; er 
selber aber hoffte von München aus sicherer für seine Zwecke wirken zu können. Daß 
es wirklich so stand, wird durch den Erfolg bewiesen. Die deutschen Großmächte nahmen 
die Sendung Zentner's sehr freundlich auf, und die Haltung dieses klugen Staatsmannes 
in Wien entsprach in der That den Wünschen beider Parteien. Er vertheidigte einer— 
seits die bairische Verfassung gegen die Anfechtungen, welche dort in Wien nicht mehr 
von Metternich und Bernstorff, sondern von Marschall und Berstett, den Ministern der 
constitutionellen Staaten Nassau und Baden, versucht wurden; er trat andererseits zu 
Metternich in ein gutes Verhältniß, zu Bernstorff in ein vertrautes, freundschaftliches 
Einvernehmen, das für Deutschlands Zukunft segensreich wurde, denn aus dieser Ver- 
ständigung zwischen Preußen und Baiern ging späterhin unsere Zolleinheit hervor. Er 
schlug mithin eine mittlere Richtung ein, die, wie die Dinge lagen, für Baiern die einzig 
richtige Politik war. Genau derselbe Fall wiederholte sich bei den Wiener Minister- 
Conferenzen v. Jahre 1823. Auch damals wünschte Rechberg wieder, daß Zentner nach 
Wien gehen solle, damit sein eigener Einfluß in München nicht geschwächt würde. 
(Zastrow's Bericht, 31. Dec. 1822.) 
Das Intriguenstück hatte aber noch einen wichtigen letzten Act, dessen Herr v. Lerchen- 
feld nur beiläufig gedenkt. Die beiden Großmächte beschwerten sich über den bairischen 
Verfassungsvorbehalt, und sie hatten von ihrem Standpunkt aus guten Grund dazu; 
denn mit dem Bundesrechte stand es doch sicherlich nicht im Einklang, daß der Mün- 
chener Hof den Beschlüssen, die er selber mit bewirkt und schon zweimal genehmigt hatte, 
nachträglich noch eine vieldeutige Clausel anhing. Bernstorff fragte in einem scharfen 
Ministerialschreiben an Zastrow gradezu, ob „dieses erste Abweichen von den Bundes- 
beschlüssen“ etwa eine Lossagung Baierns vom Bunde bedeuten solle. Als Zastrow dies 
Schreiben dem Grafen Rechberg vorlas, da bat ihn der bairische Minister, er möge ihm 
eine förmliche Note überreichen. Der preußische Gesandte entsprach diesem Wunsche am 
8. November (Zastrow's Bericht am 17. November), und nunmehr übergab Rechberg 
am 13. November ein sehr bescheidenes Antwortschreiben. Er dankte darin für den neuen 
Beweis preußischer Freundschaft und versicherte, daß Baiern die Bundesbeschlüsse gewissen- 
haft befolgt habe. Zum Beweise zählte er alle die Maßregeln auf, die zur Ausführung 
der Karlsbader Beschlüsse bereits angeordnet seien, und legte die neuen Verordnungen 
über die Censur, die Universitäten u. A. bei, welche diesen Beweis allerdings führten. 
Darauf betheuerte er, sein Hof erkenne den Bund als heilbringend an: „S. Maj. haben 
nie dem Gedanken Raum gegeben, Sich von diesem Bunde zu trennen oder Sich außer 
demselben zu stellen.“ Die Form der Veröffentlichung „hatte bloß die Beruhigung der 
königlichen Unterthanen zum Zweck, die einen Augenblick befürchten konnten, durch die 
gedachten Beschlüsse oder vielmehr durch die solche motivirende Präsidialproposition ge- 
wohnte vaterländische Gesetze und eine seit ihrer auch nur kurzen Dauer ihnen werth 
gewordene Verfassung beeinträchtigt zu sehen.“ Da Herr v. Lerchenfeld dies merkwürdige 
Schreiben nicht erwähnt, so ist es wohl möglich, daß Rechberg auch diesmal wieder ohne 
Vorwissen des Ministerrathes, aber schwerlich ohne Genehmigung des Königs, gehandelt 
habe. Nichtsdestoweniger bleibt diese Note eine amtliche Erklärung der bairischen Regie 
rung, und sie wurde auch als solche in Berlin ausgenommen. Die preußische Regierung 
erklärte sich befriedigt, da das Schreiben Rechberg's unzweideutig aussprach, daß Baiern den 
Karlsbader Beschlüssen treu bleibe und der Verfassungsvorbehalt nicht so schlimm gemeint 
sei. Es war nur die natürliche Folge dieser Politik, daß der Münchener Hof fünf Jahre 
später die Erneuerung der Karlsbader Beschlüsse selber auf das Wärmste befürwortete.
	        
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