Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

772 Motz an Kurfürst Wilhelm J. 
in Höchst Ihren Staaten in der Zeit von 7 Jahren geschehen ist und daß dieser 
Grundsatz auch auf Höchstdero Diener Anwendung fände. Ew. K. H. bitte 
ich unterthänigst mir die freimüthige Bemerkung zu erlauben, daß Höchstdero sämmt— 
liche Unterthanen sehr glücklich zu preisen wären, wenn sie dasselbe von sich sagen könnten, 
daß dieses besonders bei Höchstdero getreuen Dienern der Fall sein würde, wenn sie mit 
Frau und Kindern in einen siebenjährigen Schlaf verfallen und auf diese Weise nur zu 
neuen Dienstleistungen für Ew. K. H. erstarkt, unter den veränderten Verhältnissen 
hätten wieder erwachen können. 
Leider ist es meinen braven Landsleuten in dieser Zeit so gut nicht geworden, sie 
haben in der unglücklichen Zwischenherrschaft das höchste Ungemach, viele Noth und 
Kummer ertragen müssen. » 
Der Stand der Diener in Hessen ist, nach dem von Ew. K. H. angenommenen 
System sehr gering besoldet, in der Regel hat ein solcher Staatsdiener, bis er zu einem 
mäßigen zum Unterhalt seiner Familie, selbst bei gewohnter Entsagung nur in seltenen 
Fällen zureichenden Gehalt gelangt, sein eigenes Vermögen, wenn er so glücklich war 
dergleichen zu besitzen, rein zugesetzt, er lebt alsdann ganz abhängig von seiner Stelle 
und ist es dann wohl für ein großes Unglück zu erkennen, wenn 
Ew. K. Hoheit Diener in der erwähnten unglücklichen Zeit, selbst aus diesen 
Verhältnissen herausgerissen, bei einer fremden, ihnen aufgedrungenen, dem herrlichen 
Gemüthe der Hessen höchst verhaßten Regierung Dienste suchen und annehmen mußten, 
um mit ihrer Familie nicht zu verhungern. Ich bin während der westphälischen Herr— 
schaft als Mitglied der westphälischen Reichsstände mehrmals längere Zeit selbst in 
Kassel anwesend gewesen und habe mich nur an den biederen herrlichen Gesinnungen 
meiner braven Landsleute erfreuen können. Bei Ew. K. Hoheit Einzug in Kassel nach der 
Schlacht von Leipzig haben Höchst Ihnen diese braven Gesinnungen der Hessen offen 
dargelegen. 
Ew. K. Hoheit sind reich, Ihre Diener und Unterthanen arm; möchten Ew. K. 
Hoheit doch geruhen diese herrlichen Gesinnungen Höchst Ihrer Unterthanen und ins— 
besondere auch Höchst Ihrer Diener bei letzteren durch Gnadenbewilligungen und Be— 
soldungen, welche für billige Bedürfnisse angemessen berechnet sind, baldigst zu lohnen 
und so vielen Kummer und Trübsinn zu verscheuchen, welcher leider in den meisten 
dieser Familien sichtbar ist. Welchen herrlichen Gebrauch würden alsdann Ew. K. H. 
noch am Abend Ihres Lebens von den großen Glücksgütern machen, in deren Besitze 
Sie sich befinden, und wenn Ew. K. Hoheit dereinst nach hier überstandener Prüfungszeit 
vor dem Herrn über uns alle, der auch den Mächtigen der Erde den Stuhl bereitet, 
erscheinen müssen, wie viel Thränen der Liebe und des Dankes würden Sie dann begleiten. 
Geruhen E. K. H. mir diese Abschweifung in diesem unterthänigsten Schreiben, 
welche ich im Vertrauen auf Höchstdero mir stets gezeigte Gnade und Höchstes Wohl— 
wollen gewagt habe, gnädigst zu verzeihen, geruhen Höchst Sie diesen Herzenserguß 
eines sein Vaterland treu liebenden, von den Verhältnissen desselben unterrichteten, 
E. K. H. treu ergebenen ehemaligen Hessen in Hessischer Treue und Biederkeit dargestellt, 
aufzunehmen. 
Ich trenne von dem, bei dieser Gelegenheit vorgelegten Wunsch ganz die 
Angelegenheit meines Oheims, welche auf dem gewählten Wege zur Ent- 
scheidung kommen mag. 
Nur schließlich erlaube ich mir noch Ew. K. H. Gnade folgendes unterthänigst zu 
bemerken. Es ist hart, einem alten 80 jährigen geehrten und geachteten Diener, welcher 
50 Jahre seines Lebens dem Dienste des Staates und seines Regenten, nach seiner 
Ueberzeugung und nach der öffentlichen Meinung, treu und nützlich verwendet hat, so 
kurz vor seinem Abgange aus dieser irdischen Welt den früher unberührten Vor- 
wurf der Dienstuntreue zu machen, es liegt in jedem rechtlichen Gemüthe einen 
solchen Vorwurf tief zu fühlen.
	        
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