Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Dritter Teil. Bis zur Juli-Revolution. (26)

776 Nebenius und der deutsche Zollverein. 
Bedingungen eines deutschen Zollvereins gehegt und bekannt gemacht worden sind.“ Und 
aus dieser fein berechneten Artigkeit zieht Nebenius' Biograph, Joseph Beck den Schluß, 
Preußen selber habe den badischen Staatsmann als den Meister des Werkes anerkannt! 
Ist es denn so ganz unbekannt, in welchem Tone gewandte Diplomaten zu reden pflegen, 
wenn sie einen einflußreichen Mann bei guter Stimmung halten wollen? Oder sollte 
Eichhorn etwa bei solchem Anlaß zu dem stark aufgetragenen Lobe noch die unhöfliche 
Wahrheit hinzufügen, daß die Dinge doch anders gekommen seien als Nebenius gedacht? 
Und wo sagt Eichhorn, daß die Ideen des badischen Staatsmannes der preußischen 
Regierung irgendwie zur Richtschnur gedient hätten? Geht nicht vielmehr aus der ganzen 
Fassung seines Schreibens hervor, daß er selber die Denkschrift von 1819 erst im Herbst 
1833 kennen gelernt hat? Auf die Entstehung jener grundlegenden Verträge haben die 
Nebenius'schen Gedanken in keiner Weise eingewirkt. Der badische Staatsmann könnte 
besten Falls nur in demselben Sinne als „Erfinder des Zollvereins“ genannt werden, 
wie man den Normannen Erik den Rothen als den Entdecker von Amerika bezeichnen 
kann, weil er lange vor Columbus zuerst das Weinland des fernen Westens erblickte; er 
hätte eine Erfindung gemacht, die aber sehr historisch wirksam wurde, als Andere sie 
selbständig wieder auffanden. 
Doch selbst dieser bescheidene Ruhm gebührt Nebenius nicht. Es ist nicht richtig, 
daß jene Denkschrift die Grundgedanken des späteren Zollvereins zuerst aufgestellt hätte. 
Zerlegen wir die Frage, da der Ausdruck „Erfinder des Zollvereins“ so gar vieldeutig 
ist, und prüfen wir im Einzelnen. Also — 
Wer hat die Forderung, daß Deutschland ein handelspolitisches Ganzes bilden solle, 
zuerst ausgesprochen? Nicht Nebenius. Sondern dieser Gedanke war seit dem Wiener 
Congreß das Gemeingut von Patrioten aller Parteien; ihn in weiten Kreisen verbreitet 
zu haben ist vor Allem das Werk von F. List und seiner unermüdlichen Agitation. 
Wer hat den Widerstand, der sich diesem Gedanken entgegenstemmte, am letzten 
Ende überwunden? Nicht Nebenius, noch irgend ein einzelner Mann, auch nicht die 
Macht der öffentlichen Meinung, die vielmehr hartnäckig verblendet blieb, sondern allein 
die bittere Noth. Nur die äußerste Bedrängniß der Finanzen und des Verkehrs zwang 
die widerstrebenden kleinen Höfe, die Verständigung mit dem beargwöhnten Preußen zu 
suchen. 
Wer hat das Zollgesetz und den Tarif erdacht, welche so vielen streitenden In— 
teressen eine leidliche Ausgleichung brachten? Nicht Nebenius, sondern Maassen. Dessen 
Werk, das Zollgesetz, ist älter als Nebenius' Denkschrift, und es bezeichnet die allgemeine 
Verwirrung jener Tage, daß der geistreiche Badener, statt sich an dies Bestehende anzu- 
schließen, vielmehr auf eigene Faust sich einen deutschen Zolltarif ersann, der von den 
preußischen Grundsätzen nicht sehr weit abwich. 
Wer hat den Gedanken ersonnen, daß die Zolleinnahmen nach der Kopfzahl unter 
die Verbündeten vertheilt werden sollten? Nicht Nebenius, sondern Maassen und 
J. G. Hoffmann, die unter der Mitwirkung von Motz den Vertrag mit Sondershausen 
schlossen, ehe die Denkschrift des Badeners den Wiener Conferenzen vorgelegt wurde. 
Aus diesem preußischen Vertrage ist dann jener Vertheilungsmaßstab, weil er der einfachste 
und für die Kleinstaaten vortheilhafteste war, in alle Enclaven= und Zollvereinsverträge 
hinübergenommen worden. 
Wer hat den Gedanken ersonnen, daß die verbündeten Staaten neben gemeinsamer 
Zollgesetzgebung selbständige Zollverwaltung haben müßten? Nicht Nebenius — denn 
seine Denkschrift wollte gemeinsame Zollverwaltung — sondern im Verlauf der süd- 
deutschen Sonderbundsverhandlungen vereinigten sich die südwestdeutschen Höfe durch das 
Heidelberger Protocoll über diesen Grundsatz; die preußische Regierung, die von ihren 
kleinen Nachbarn die Unterordnung unter ihre Zollhoheit verlangt hatte, erkannte nach 
und nach, daß sie den größeren Höfen solche Zumuthungen nicht bieten durfte, und Motz 
war es, der sich zuerst auf den Boden des Heidelberger Protocolles stellte.
	        
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